16.September 2006, Korsischer Abend bei Tee de Cologne

Deutsch-korsisches Premierenfieber

Erster Tag eines musiktrunkenen Wochenendes. Die Idee dazu entstand ganz spontan im Mai bei einem zwanglosen Treffen auf Korsika und hat sich überraschend entwickelt. Ja, wenn du Lust dazu hast, können wir die Verbindung herstellen zum Teeladen unseres Vertrauens. Ja, es ist ein kleiner, ganz intimer besonderer Rahmen. JA! Blitzidee und Blitzbegeisterung auf beiden Seiten. Termin vereinbart und wieder verlegt, erwartungsvolle Mails ausgetauscht und endlich ist es soweit, in wenigen Stunden wird diese Idee Wirklichkeit. Alle Hoffnung, alle Erwartung, alle guten Wünsche, Gedanken, alles Herzklopfen steuern auf den ersten Höhepunkt zu. Der Fuhrpark mit drei Pkws steht nach einer Sternfahrt von Köln bzw. aus dem Taunus zum Pick-up Service am Flughafen Köln-Bonn bereit. Die Maschine aus Bastia erwarten wir um 14.40 Uhr und Josefinas aus Nizza mit Verspätung angekündigt um 14.20 Uhr. Dummerweise haben wir uns nicht schlau gemacht, erster Minuspunkt? – parken auf Terminal 2, noch dazu an verschiedenen Parkpositionen. Wir, das ist das bewährte Kölner-Hessische Dreamteam Silvia, Micha, Brischit und ich, erwarten unseren Besuch in der Ankunfts“halle“ des Terminal 1. Die Szenerie gleicht durchaus der von Herzblatt, kurz bevor die Wand aufgeht.

Immer wieder versuche ich einen Blick zu erhaschen, wenn sich die Tür für einen kurzen Moment öffnet und Fluggäste ausspuckt. Es dauert und dauert und dauert…. Endlich! Da sind sie! Stéphane und Jean-Bernard mutig vorneweg – Wiedererkennungsfreude im Gesicht. Große Begrüßungszeremonie und zum Glück ist Silvia dabei und hilft die erste Hemmschwelle des Small-Talks elegant zu überwinden. Parler français ist nicht gerade alltäglich, wird es aber in den nächsten vier Tagen mehr und mehr. Reisen bildet auch die Besuchten. Es zieht eine Karawane von neun Personen gen Parkhaus. Der Suchmechanismus „Wo ist mein Auto“ funktioniert etwas schleppend, das logistische Lagezentrum hat die erste Bewährungsprobe - Gepäck, Personen, Instrumente, Fahrer, Begleitpersonen - zu bestehen und speichert die Lösung für schnellen Zugriff im Arbeitsspeicher der linken Gehirnhälfte. Die Dauerrätselfrage der nächsten Tage wird sein: combien de personnes, combien de voitures?

Die Eincheckprozedur im Hotel gestaltet sich schwieriger und länger als gedacht, bis endlich der Sesam-öffne-Dich-Code als Eintrittsberechtigung funktioniert und für jedes Zimmer ausgedruckt ist. Geschafft! Jean-Christophe übernimmt generalstabsmäßig die Verteilung der Zimmer und legt das Take-off ne halbe Stunde später fest. Während dessen fährt Micha mit den Instrumenten schon mal vor und um einen kleinen Verstärker und einen weiteren Gitarrenständer zu besorgen. Das Improvisationstheater Tee-de-Cologne beginnt sich warmzulaufen. Inzwischen ist es halb vier. Showtime ist um sechs. Bis dahin wartet noch jede Menge Aufbauarbeit. Gegen den aufkommenden kleinen Hunger steht eine wagenradgroße Platte Finger-Food Leckereien bereit. Renates Küchenkünsten sei Dank. Die Jungs und das Mädel sind sehr entspannt und ergeben sich willig ihrem Schicksal. Es wuselt und räumt, stellt, schiebt, ruft, klappert, scheppert, rein, raus, hin und her – und zwischen allem sitzt selenruhig JB und klampft sich ein. Prima – ihn kann schon mal nichts erschüttern. Tatsächlich ist um sechs Uhr alles parat und die Gäste treffen ein.

Tja, was soll ich sagen? Ein Highlight, ein großer verdienter Erfolg! Der Teeladen ist so voll wie nie, so dass der Frau des Hauses nichts anderes übrig bleibt, als Stéphane zu Füßen zu sitzen. Nein, nein, das ist gar nicht ehrfürchtig, nur zweckmäßig und sorgt für eine gewisse Erheiterung beim Auf-und-nieder-immer-wieder, denn sie baut die sprachliche Brücke zwischen Korsika und Deutschland, wenn sie charmant und souverän übersetzt, was Stéphane über sich und seine Musik und der Musik Korsikas erzählt, damit die Zuhörer ihn ein bisschen kennen lernen.

Stéphane und seine Band kommen aus dem Norden Korsikas, haben eine lange Musiktradition und bereits in verschiedenen Bands gespielt. Das biete eine große Freiheit und die Chance, sich jederzeit neu zu entdecken. Es sei schwierig, seine Musik zu beschreiben, sagt er. Der Ursprung aller war vokal. Die Stimme als alltägliches Instrument bei der Arbeit, in der Natur, im Familienkreis, bei Festen, entwickelte sich zu dem typischen polyphonen Gesang, der in den 60er Jahren fast verschwunden war. In den 70ern hat man begonnen, die alten Lieder aufzuschreiben, den Schatz der Alten zu bergen und zu bewahren, und damit die Tradition fortgesetzt bzw. wiederbelebt. Stéphanes Musik ist auch Polyphonie, aber ein anderer, eigener Stil, modern, mit neuen Elementen bestückt, weltoffen und von seiner Persönlichkeit geprägt.

Dann entführt er uns ganz behutsam in seine Welt. Mit eindringlicher Stimme, unterstützt von Jean-Maries zurückhaltendem Bass, JBs zweiter und Josefina an der dritten Gitarre sowie der Cajon. Stéphane selbst spielt eine doppelt besaitete Taylor, sie hat einen unglaublich schönen, ganz besonderen Klang und stellt damit die Stimmung eines jeden Liedes heraus. Ich drehe mich um und sehe zu meiner Freude in ganz viele Gesichter mit geschlossenen Augen, einem kleinen Lächeln und stillem Genießen. Ich war mir natürlich sehr sicher, dass Stéphane mit seiner Musik hier angenommen würde, aber garantieren konnte ich es nicht. Doch Musik ist eine Sprache, die überall auf der Welt verstanden wird, wenn sie ehrlich ist und man das Herzblut hört. Seine Lieder haben Kraft und Intensität, sind getragen von seiner Stimmer und von wunderschönen Melodien, dem Fundament vom Bass und der Cajon und der Fülle dreier Gitarren, eine brillanter als die andere. Welch ein Klangereignis! Schöne Melodieführung, Tempowechsel, Feingefühl in jeder Note und Josefinas verhaltene, mal kraftvolle Stimme, wie im Gespräch mit Stéphane, ein Geben und Nehmen, ein Fragen und Antworten. Eine Reinheit, eine Klarheit, ein Temperament von spanischer Glut verschlägt mir die Sprache. Spanisches plus X - Ausstrahlung wie eine Supernova! Stéphane drapiert sich mit seiner Gitarre auf dem Hocker, das Bein mal rechts, mal links übergeschlagen, spielt in einer Ruhe und Gelassenheit, von Nervosität keine Spur. Ich glaube, er fühlt sich sehr wohl bei seiner Premiere in Deutschland, bei der Generalprobe für den nächsten Tag im Spiegelzelt in Altenkirchen.

Nach einer knappen Stunde haben sich die Musiker und wir eine Pause verdient. Einer der letzten Sommerabende voller milder Luft gibt uns Gelegenheit, uns draußen in ungezwungener Atmosphäre kennen zu lernen. Ein guter Geist, Frau Gharavi von Gharavis Weinhaus und Feinkostgeschäft in der Nachbarschaft hat Wein und Käse aus Korsika bereitgestellt. Auch unplugged macht durstig! Der Wein ist frisch und kühl, das Brot und der Käse ein Genuss. Ein wahrlich ungewöhnliches Ambiente für Häppchen und Wein, aber eine gute Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Die korsischen Freunde mischen sich munter unters Volk. Ich höre mich um und versuche die Stimmung einzufangen, bin neugierig und frage viele Zuhörer, wie es ihnen gefällt und ob sie positiv überrascht wurden und höre immer wieder ein großes JA. Alle genießen den schönen Abend, so dass wir Silvias zweites Läuten völlig überhören. Dann arbeiten sie mit allen Tricks: akustische Lockstoffe, die Künstler höchstselbst spielen uns herein, viele nehmen ihren Wein mit und sind im besten Sinne beschwingt für den zweiten Teil.

Er beginnt mit viel Schwung „Destini di Cosica – Schicksal von Korsika“. Dann übernimmt Josefina mit einem ihrer Lieder „Me marcharé“ von der CD „Caminando“. Die eingängige Melodie bleibt sofort haften und ich überlege, „woher“ Josefina diese Stimme nimmt. Sie klingt für unsere Ohren ungewohnt, ein wenig orientalisch angehaucht, sehr markant und strahlend schön.

Während der Pause haben viele den Wunsch geäußert, etwas über die Lieder zu erfahren. Die Zuhörer möchten einfach „verstehen“ was Stéphane in seinen Liedern singt, welche Bilder er beschreibt, welche Gefühle und Gedanken er zu seinem Land hat.

Das nächste Stück „A Fiumara“, Die Flut, sagt er, ist eine Metapher für die Sinnesüberflüsse, die man auf Korsika empfinden und erleben kann. Dann wird es sehr rhythmisch, der Bass kommt wie ein Stakkato, wie Morsezeichen. „So Statu – Ich wurde“ erzählt über Stéphanes Wurzeln und wie sehr sie in seiner Welt verankert sind. Ein tolles Stück, mit viel herzlichem Applaus belohnt. Super! Das kann noch gar nicht zu Ende sein, es begann gerade, der Moment von angekommen sein in der Musik, von Verstehen, von Fühlen. Josefina hat noch ein Stück für uns mitgebracht: „No digas mas nadas“, ein echter Knaller! Langer, sehr herzlicher begeisterter Applaus ist verdienter Lohn für so viel Leidenschaft für die Musik, so viel Einverständnis und Sensibilität. Strahlende Gesichter schauen uns an, die pure Freude, ein Wellnessbad in Sympathie. Für sein letztes Lied bleibt Stéphane allein auf der Bühne. Noch einmal lässt er uns dahinschmelzen von seiner wunderbaren warmen Stimme, das Herz geht mir auf. Nicht nur ich habe den Abend sehr genossen. Stéphane und seine Band haben Freunde gewonnen. Sie haben mit ihrer Musik ein Stück Korsika mitgebracht. Musik verbindet die Menschen aller Kontinente, insofern ist der Gedanke, sich der ganzen Welt zu öffnen, völlig berechtigt und richtig. Stéphanes neue CD soll im Herbst 2007 erscheinen. Bis dahin müssen wir uns noch gedulden. Aber die beiden anderen „Una Preghera“ und „Sumenta d’Ideale“ sowie Josefinas „Caminando“ helfen die Zeit zu überbrücken.

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de

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