Sehr entscheidende Unwichtigkeiten

Wo fährst du hin? Burg Satzvey. Ist wo? Aus der Mitte von D-land betrachtet ist der Beginn der Eifel westlich von Köln für manchen verständnislos weit weg für mal eben ein Konzert hinrutschen und nachts wieder heim. Es könnte viele Gründe geben dorthin zu fahren. Zwei könnten die Gastlichkeit und die gute Küche des Rittersaals sein. Unserer war, neben Freunden zu treffen, Philipp Fankhauser & Band. Also, weit und breit nur Fragezeichen im Gesicht, wohin unser freitägliches Nachmittags- und Abendprogramm uns führt. Philipp wer? Wird er im Radio gespielt? Nie gehört. Das beginnt sich gerade zu ändern. Steter Tropfen höhlt den Stein und nach und nach spricht es sich herum, dass da Schweitzer Blueser unterwegs sind, die absolute Weltklasse sind und den Geheimtipp-Status in D nicht mehr lange werden halten können, weil Suchtfaktor wie Nutella aufm Frühstücksbrötchen. Nicht wichtig? Entscheidend!

Der Bourbonensaal verströmt durch den Holzboden und die Stehtische und einigen Kerzenleuchtern den rustikalen Charme eines vielleicht ehemaligen Stalles und füllt sich überraschend schnell mit Publikum. Der hiesige Verein zur Pflege der Kultur hat ein gutes Händchen bewiesen für seine satzungsgemäß feierfreudigen musikbegeisterten Mitglieder und alle anderen. Nicht wichtig? Entscheidend.

Sie machen verdammt gute Stimmung, gehen ab wie ein Zäpfchen, sind bereit, aufnahmewillig wenn nicht gar gierig. Der Set wird vom Fleck weg gut angenommen. Und es ist natürlich nicht wichtig, aber entscheidend, wie viel ruppiger und rauer Jealous Kinda Fella heute klingt. Und hinten drauf mit Make my Home… ein wunderbarer Entschleuniger kommt. Philipp und seine Gibson als scheinbar körperliche Einheit. Zunder schwebt in der Luft. Wenn er möchte, könne er das auch, huldigt er Marcos Solo, der Blues Ain’t Nothing Lügen straft. Die Horns und die Band bekommen Namen und erwartungsvollen, hungrigen Applaus. Philipp ist nicht minder ein charmanter Entertainer, der angesichts des Schnitzelbrötchen-und-Bouletten-Desasters auf Raststätten ob der allfälligen Raucherhysterie die Glaubwürdigkeit der Gesundheitsapostel entlarvt und verwundert-verständnislos die Augenbraue lupft und die Mundwinkel. Nicht wichtig. Entscheidend!

Try my love - die tiefen Bläser sind wie warmer Schokopudding. Liegt es an Philipps Stimme, die heute noch einen Touch anders ist, nach Rauch und scharfen Getränken klingt und sich anfühlt wie ein sexy Dreitagebart? Oder liegt es an Hendrix, der ein Piano perlt, dass es einem die Tränen in die Augen treibt? Chris Jones’ Roadhouses ist längst ihres geworden mit dieser Intensität fast so was wie Glaubensbekenntnis. Wie leider so oft zerstören ein paar Voreilige den Zauber viel zu früh.

Oder liegt es daran, dass ich das erste Mal erlebe, wenn die Jungs einen Set komplett durchspielen dürfen? Durchbrettern, den Drive lassen, keine Rücksicht auf Umsatzverpflichtungen, kein Break, es kam sowieso immer zu früh, na gut, aber dann blieb hinten raus jede Menge Zeit und Raum für alles… Pausen sind immer bremsen und Neustart. Nicht, dass sie es nicht locker hinkriegen, aber man muss ja nicht den Berg runter, um wieder rauf zu kraxeln. Philipp bringt zwar noch gewohnheitsmäßig die Ansage zur Pause, doch dann gehen alle Durchstarter-Lampen an… ein Kickdown, der uns unter Adrenalin und anderen Glückshormonen ein völlig übergeschnapptes Sax, heaw how beschert. Sich selbst entzünden und dann die Fackel weitergeben… so geht Philipp auf seine Runde, irgendwo eine lästige Diskussion stoppen. Wandelt über die Kohlen mit denen, denen sie die glühenden Brocken vor die Füße werfen. Die Zeremonienmeister lehren uns grooven, wir üben das noch, und dann stauben sie mächtig auf. Toshos workout, Hendrix’ Solopart mit Having a real bad day, dann Members only „Come on, Till“ und dieses Sax schmurgelt die Eintrittskarte in jenen Club. Noch so ein Aufwühler. Musik will gelebt werden. Die Jungs spielen sich förmlich nackt und bloß und demzufolge ist Aufhören fast unmöglich. Unter Thomas Angus’ Bassläufen schnarrt die Snare munter mit, dann ein letztes Aufbäumen, unglaublich packend, dick und fett, nah am Überkippen, an der Grenze zum Musicflash. Nicht wichtig. Entscheidend!

Ich hatte inzwischen das große Vergnügen, einige Shows zu erleben, mit und ohne Horns. Es hat dann ein paar andere Songs am Set, und der Abend fühlt sich wirklich anders an. Verdammt gut, denn da stehn begnadete Herzblutmusiker auf der Bühne, die ihre Musik leidenschaften bis zum weh tun, ohne Schnörkel und kein too much und weiß Gott ohne Showallüren und so was. Das völlige Gegenteil von gleichartig, wiederhol- und austauschbar und bei dem „Ohne“ so wenig fehlt wie dem „Mit“ zu viel ist. Es ist einfach eine verdammt prickelnde, unstillbare Lust, diese Band zu erleben. Und die Horns klinken sich da völlig barrierefrei ein. Das geht furchtbar schön unter die Haut, an Herz und Nieren sowieso. Nicht wichtig? Entscheidend! Es ist die große Kleinigkeit mehr, die aus etwas Besonderem etwas Außergewöhnliches macht.

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de

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