Vier Prosecco und nen Bourbon

Heute, am Morgen danach, fühle ich mich wie Fieber, es muss raus, sonst kann ich nicht gesund werden. Der Abend vor diesem Morgen: Jungs, ihr nehmt grad mein Sonntagsritual vorweg. Sunday Morning - Eier-mit-Speck oder Café-Croissant-Gefühl? Das ist ein nahrhafter, richtig richtig guter Start in diesen berauschenden Abend. It’s Gonna Rain ist ein Wolkenbruch, ihr macht ein Fass auf, Philipp stampft mit dem Fuß, rackert die Gitarre, das Spiel beginnt, die Funken fliegen und der Rittergarten fängt sofort!! Feuer. Leichtes Spiel? Nein, unbändige Lust am so herrlich schändlichen unwiderstehlichen Treiben. Jealous Kinda Fella, das schöne Gift wirkt unmittelbar, schießt ins Hirn und dann nur noch fliegen, fliegen, fliegen, in einen Orkan, der ein laues Lüftchen gegen Hendrix’ Schweineorgel ist. Schwindelig und uff, atemlos lassen sie mich in diesen schönen Johnny-Copland-Blues fallen, Make my home wherever I lay my hat… Blues ain’t nothing…, Tanz auf dem Vulkan, jetzt schon, und der Abend ist noch jung. Wir haben Zeit, Zeit für was immer ihr wollt… Philipps erste Runde Stagediving, hautnah, sehen, fühlen, hören und irgendwann ziehen ihn seine Jungs auf die Bühne zurück. So viel Augen- und Ohrensex macht mich in kürzester Zeit wie sturzbetrunken und doch hellwach. Songs wie Try my Love jagen mich ins verderbliche Fegefeuer der Sehnsüchte, Himmel!!!! diese!!! Stimme!!!! wie sie bettelt, fordert, bittet, fleht. Um dann Love Man Riding zu sagen „Nothing to be proud of, that’s the way I live my life alright“. Die ungefähr 101 Real Music Lovers im Rittersaal machen eine riesig gute Stimmung, wir treiben uns gegenseitig, Goodfeelings auf der Alb. Aber: diese leidige Störkulisse: Bei allem Verständnis für spontanen Mitteilungsdrang einerseits und euch Arbeitende andererseits, aber habt ihr Knappen des Rittergartens denn überhaupt kein Fingerspitzengefühl? Ist euch das Feingefühl im kalten Wasser oder am Herd abhanden gekommen? O.k., ihr müsst eure Arbeit machen, aber „Nehmt Pet-Flaschen“ hieß euch Philipp mit einem Dolchblick. Diese weit verbreitete Seuche von Respektlosigkeit gegenüber Gästen!! und Musikern!! sind nicht nur denen ein Ärgernis. Diese geräuschhafte Geschäftigkeit sind Nadelstiche auf wunde, verletzliche Haut, ein Dolchstoß ins offene Herz. Und sie sind Presslufthammer in hochsensible Ohren.

Philipp setzt Roadhouses & Automobiles als Waffe gegen den Störpegel – leise, sehr leise, fast nur ein Hauch singt er unter Hendrix’ mikrofaserfeinem Tastenspiel vom Leben eines Musikers, der so viel hergeben muss um noch mehr zu bekommen. Marcos Gitarre schwebt irgendwo oben, auch nur ein Hauch, Sternenstaubklänge, die erst im Applaus verglühen. Eine Stimmung wie schillernd zarte Seifenblasenbubbles, und darauf setzen sie noch Too little too late. Kopfüber ins Wechselbad, keine Zeit für Sentimentalitäten, denn jetzt geht so richtig die Post ab, rackern, graben, ackern, wuchten, bis die Wände wackeln, die Bühne bebt, der Kalk bröckelt, der Rittergarten wird mal eben auf Links gedreht. Jetzt! Vier Prosecco und ‘nen Bourbon kommt die Order an die Theke und are you ready to go to Texas? die Frage an uns. Wohin auch immer. Bended Knees, noch so ein Feuerball! Die Jungs stehn längst da wo sie hinwollen, wir stehn längst da, wo sie uns hinhaben wollen – mitten im brodelnden Hexenkessel. Toshos Arbeitseinsatz kündigt sich an, er ist jetzt allein auf der Bühne und meine Augen und Ohren glauben’s mal wieder nicht. Er überholt sich fast selbst. Übernimmt für einen Moment Herzschlag, Lebensenergie und Puls. Gegen dieses Solo verblasst ein Brillantfeuerwerk. Wie eine Steinlawine bahnt er sich seinen Weg, inzwischen ist die Band wieder an Bord, noch ein gemeinsames Aufbäumen, bevor Philipp sich hinaus schleicht. Der Showdown gehört der Band und es ist ein untauglicher Versuch.

Die Luft ist noch schwer, vibriert vom Klatschen, Pfeifen, Wollen, ist heiß. Hendrix spurtet hinter seine Tasten, Tom Wait’s Picture in Frame wartet auf uns. Er mit sich und uns und diesem Song, allein. Was eine Inszenierung! Danke, Hendrix, für diese Liebeserklärung in aller Stille, voller Demut, bittersweet. Doch die Zeit tropft leider weiter, Philipp geht in diese Stimmung hinein, fühlt sich wohl, gut und angenommen und beschert uns ein ausgiebiges USA-Annekdötchen von einer Begegnung mit einem der gräflich adeligen Personen der hiesigen Gegend, der einen Spleen auslebte, flüchtig und in einer unvorstellbaren Größenordnung des Gegenwertes von 66 Harley-Davidson-Meilen. Sehr amüsant, sehr kurios und witzig - großes Kino – die Zeit verlängern, wenn schon nicht anhalten. Noch immer nicht satt, noch immer hungrig gibt es noch einen langen deftigen wuchtig grandiosen, exzessiven Abbrenner aus der großen Schatzkiste. Es sieht ganz so aus, als können Band und Publikum einfach nicht voneinander lassen. Satisfaction, I can’t get no… bringt es auf den Punkt, gnadenlos gegen den Strich gebürstet… wieder ein überaus sinnliches Konzerterlebnis auf höchstem technischen und geschmackvollen Niveau, vielen vielen Dank! CU soon.

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de

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