2003-01-16

Günter Grass: Zwischen den Kriegen

Der SPIEGEL druckt das Grass-Essay im Wortlaut ab.

SPIEGEL ONLINE - 16. Januar 2003, 10:43
URL: 
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,230941,00.html

Grass-Essay im Wortlaut
 
"Zwischen den Kriegen"

In seinem Beitrag für die Nachrichtenagentur dpa kritisiert Günter Grass die heuchlerische Irak-Politik der USA und ihrer Verbündeten. Den drohenden Krieg bezeichnet er als "gewollt", es gehe "wiederum ums Öl". SPIEGEL ONLINE dokumentiert den Essay des Literaturnobelpreisträgers.

"Das vergebliche Warnen vor drohender Kriegsgefahr gerinnt mittlerweile zur Routine; und dennoch gilt weiterhin zählebig, was Matthias Claudius zu seiner Zeit reimte:

"'s ist Krieg! 's ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede Du darein!
's ist leider Krieg - und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!"

Viele Ausrufzeichen stützen die erste Strophe dieses Gedichtes, dem die Vergeblichkeit seiner Warnung Dauer garantiert hat. Deshalb, weil es so viele Schlachten überdauert hat, setze ich es an den Anfang meiner Warnung - "Und rede Du darein!" -, die als Dreinrede, wie ich befürchte, überhört werden wird.

Krieg droht. Wieder einmal droht Krieg. Oder wird nur mit Krieg gedroht, damit es nicht zum Krieg kommt? Bedeutet das einschränkende Wort "nur", daß der seit Wochen auf der Arabischen Halbinsel und im Roten Meer inszenierte Aufmarsch nordamerikanischer und englischer Truppen und Flottenverbände, der die Medien mit Bildern militärischer Überlegenheit füttert, eine bloße Drohgebärde ist, die schließlich - sobald der eine von zwei Dutzend weltweit herrschenden Diktatoren sich ins Exil verkrümelt hat oder wünschenswert tot ist - als friedenssichernde Machtdemonstration verbucht und abgeblasen werden kann?

Wohl kaum. Dieser drohende Krieg ist gewollt. In planenden Köpfen, auf den Börsen aller Kontinente, in wie vordatierten Fernsehprogrammen findet er bereits statt. Der Feind als Zielobjekt ist erkannt, benannt und eignet sich, neben anderen noch zu erkennenden und benennenden Feinden auf Vorrat, für die Beschwörung einer Gefahr, die alle Bedenken nivelliert. Wir kennen die Machart, nach der man sich einen Feind, sollte er fehlen, erfindet. Bekannt ist gleichfalls jene bildgesättigte Spielart des Krieges, nach der zielgenau daneben getroffen wird. Geläufig sind uns die Wörter für Schäden und Verluste an Menschenleben, die als unvermeidbar hinzunehmen sind. Es ist uns üblich geworden, daß nur die relativ wenigen Toten der herrschenden Weltmacht gezählt und betrauert werden, während die Masse der toten Feinde samt deren Frauen und Kindern ungezählt bleibt und keiner Trauer wert ist.

Also warten wir auf den Wiederholungsfall. Diesmal sollen neue Raketensysteme noch genauer danebentreffen. Ein uns als Bildauswahl vertrauter Krieg droht. Weil wir seine vom detaillierten Schrecken gesäuberte Bilderflut kennen und auch die Fernsehrechte an den uns bekannten Sender der drei abkürzenden Buchstaben vergeben sind, erwarten wir eine Fortsetzung des Krieges als Seifenoper, unterbrochen nur von Werbespots für friedliche Konsumenten. Am Rande geht es zur Zeit allenfalls darum, wer beim schon stattfindenden kommenden Krieg lautstark oder halbherzig mitmacht oder nur ein bißchen dabei sein mag, wie die Deutschen, denen zwangsläufig das Kriegführen vergangen ist oder sein sollte.

Gegen wen wird dieser Krieg, der so tut, als drohe er nur, geführt? Es heißt: Gegen einen schrecklichen Diktator. Aber Saddam Hussein war, wie andere Diktatoren auch, einst Waffenbruder der demokratischen Weltmacht und ihrer Verbündeten. Stellvertretend - und mit Hilfe des Westens hochgerüstet - führte der Irak acht Jahre lang Krieg gegen den Iran, weil im Nachbarland des Diktators ein Diktator herrschte, der dazumal Feind Nummer eins war.

Aber, heißt es weiter, Saddam Hussein verfügt - was nicht bewiesen ist - mittlerweile über Massenvernichtungsmittel. Das sagt der Westen, der - was zu beweisen wäre - über Massenvernichtungsmittel verfügt. Zudem wird versprochen: Nach dem Sieg über den Diktator und sein System soll im Irak die Demokratie eingeführt werden. Doch die dem Diktator benachbarten Länder Saudiarabien und Kuwait, die dem Westen verbündet sind und ihm als militärische Aufmarschbasis dienen, werden gleichfalls diktatorisch beherrscht. Sollen diese Länder Ziel der nächsten demokratiefördernden Kriege sein?

Ich weiß, diese Fragen sind müßig; die Arroganz der Weltmacht gibt Antwort auf jede. Doch jederman kann wissen oder ahnen, daß es ums Öl geht. Oder genauer: Es geht wiederum ums Öl. Das Gespinst der Heuchelei, mit dem die zuletzt verbliebene Großmacht und der Chor ihrer Verbündeten ihre Interessen zu verdecken pflegen, ist im Laufe der Zeit so verschlissen, daß sich das Herrschaftsgefüge nackt zeigt; schamlos stellt es sich dar und gemeingefährlich in seiner Hybris. Der gegenwärtige Präsident der USA gibt dieser Gemeingefährlichkeit Ausdruck.

Ich weiß nicht, ob die Vereinten Nationen standhaft genug sind, dem geballten Machtwillen der Vereinigten Staaten von Amerika zu widerstehen. Meine Erfahrung sagt mir, daß diesem gewollten Krieg weitere Kriege aus gleichem Antrieb folgen werden. Ich hoffe, daß die Bürger und die Regierung meines Landes unter Beweis stellen werden, daß wir Deutschen aus selbstverschuldeten Kriegen gelernt haben und deshalb Nein sagen zu dem fortwirkenden Wahnsinn, Krieg genannt.

"Was sollt' ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?"

Diese Frage stellt die zweite Strophe des Gedichtes "Kriegslied" von Matthias Claudius. Eine Frage, die wir im Rückblick auf unsere Kriege und deren "Erschlagne" bis heute nicht gültig beantwortet haben. Jener ferne, drohende Krieg, der bereits stattfindet, der nie aufgehört hat, stellt sie uns abermals.

"'s ist leider Krieg - und ich begehre nicht schuld daran zu sein."