SEHR VIEL WIEN IN FÜRTH
„Haydn singt Heller“ im
Stadttheater Fürth, 19.3.2004 von Alexander Kinsky
Das Stadttheater in Fürth
ist ein schmuckes Theater, wie das Wiener Volkstheater. Man war
gespannt: Tom Haydn, der talentierte Liedermacher, in Insiderkreisen
längst mehr als ein Geheimtyp, besonders bühnenstark mit
seinen großen Balladen und mit den Typen, in die er schlüpft,
vom Totengräber bis zum Voyeur, versucht sich – die österreichische
Herkunft legt es nahe – an Chansons des großen André
Heller. Bisher hat man allenfalls „Wia mei Herzschlag“ in Haydns
Programmen gehört. Nun also die Reverenz vor dem Liedwerk des
Vorbilds – wohlweislich weit weg von Wien, denn dort kann man bei
so einem Projekt nur verlieren. Hellers Lieder von dessen typischem
Tonfall trennen? Geht das? Ja, es geht sogar sehr gut. Hellers Lieder
leben auch ohne die Person Heller als Interpret. Das beweist ihre
Qualität, und natürlich beweist es erst recht die Qualität
der Ausführung. Alle Farben werden ausgelotet, die phantastischen
Arrangements von Jo Barnikel, Norbert Nagel und Richard Kleinmeier
bieten kammermusikalische Farben, manchmal auch avantgardistische
Ansätze. Reizvolle Instrumentierungen voller Ideen – allein
dieser Aspekt rechtfertigt die Anreise nach Fürth bei Nürnberg.
Und dann ist da der Sänger: Haydn versucht bewusst nicht, Heller
zu kopieren, er bleibt in seinem eigenen, typischen Tonfall, und
er leitet nur manchmal die Lieder anekdotisch ein. Vielleicht ist
er ein bisschen zu statisch auf der Bühne, aber sehr ausdrucksintensiv
(Beispiel „Du, du, du“). Die tollen Musiker, neben Jo Barnikel
und Norbert Nagel noch der bereits genannte Kleinmeier (Gitarre),
Jessica Hartlieb (Geige) und Thomas Simmerl (Percussion und Schlagzeug),
sind so erlesen wie einfühlsam unterwegs. Diese Lieder
stehen am Programm des ersten Teils: „Die wahren Abenteuer sind
im Kopf“, „Und dann siehst du sie“, „Maria Magdalena“, „Morgenregen“,
„Bitter und süß“, „Ich mechtat unsichtbar sein“, „Und
dann bin i ka Liliputaner mehr“, „Du, du, du“, „So a Tag“ (mit einem
Klaviersolo von Jo Barnikel am Schluss) und „Das berühmte Jean
Harlow-Lied vom 4. Oktober 1970“. Den zweiten Teil eröffnet
eine Ouvertüre, von Nicht-Wienern sehr wienerisch einstudiert:
ein Potpourri aus „Radetzkymarsch“ (die Leute klatschen mit!), einer
Violinkadenz in einem Ungarischen Tanz von Brahms, mit dem Harry
Lime Thema aus dem „Dritten Mann“, mit Mozarts „Rondo alla turca“,
auch mit Zawinuls „Birdland“ und selbstverständlich nicht ohne
den Donauwalzer, aber auch mit einem Zigeunertanz. Echte Kaffeehausmusik!
Nach der abschließenden Parodie auf den Radetzkymarsch brandet
erstmals in diesem Konzert Jubel auf. Das Ensemble ist wirklich
sensationell! (Und überall würde man das so sehen – nur
nicht in Wien.) Tom Haydn weiß das Niveau zu wahren,
seine Interpretation von „A Zigeiner mecht i sein“ gerät zu
einem phantastischen Höhepunkt des Abends. „Wean du bist a
Toschnfeitl“ ist ein Duett mit Kleinmeier. Tom Haydn wirkt jetzt
lockerer als vor der Pause. Nach „Ratznfressen“ wird „Es war nur
Liebelei“ verzerrt zu einer Version wie von den Bambis. Diese Ausartung
in volkstümliche Gefilde ist etwas gewöhnungsbedürftig.
Hellers Lieder als Experimentierfeld – da staunt man, und nicht
alles erschließt sich dem Zuhörer sofort. Ganz intensiv
gestaltet Tom Haydn „Die Hundertjährige“, und mit Gitarre bringt
er „Wenn die Liebe geht“. Natürlich fehlt hier erst recht nicht
„Wia mei Herzschlag“, und nach „Denn ich will“ gerät das Fiakerlied
„Wann i amal stirb“ abgründig exzessiv. Die Geige spielt im
Flageolett dazu. Was würden wohl für Zugaben folgen?
Ach ja – „Gut ist´s ein Narr zu sein“, logisch (für Heller-Kenner).
Und „Für immer jung“, mit drei Gitarren, davon eine von Jo
Barnikel gespielt, dazu Norbert Nagel am Bass. Der grenzgeniale
zweite Teil hat seinen fulminanten Ausklang. Nein, noch nicht, das
begeisterte Premierenpublikum kriegt noch ein Haydn-Lied mit auf
den Heimweg: „Wann soll man denn leben“. Ein Abend zum
Staunen, viel Wien in Fürth, poetische Bilder, Wien in allen
Facetten. Und ein kongenialer Interpret der Heller-Chansons mit
einem brillanten Ensemble. Tom Haydn ist der richtige Mann für
dieses ehrgeizige Projekt |