Viel Unerhörtes
Haydn singt Heller im Spiegelzelt in Altenkirchen - 18.09.2006

von
Christel Amberg-Wiegand
 

Dritter Tag des musiktrunkenen Wochenendes. Wir fühlen uns im Spiegelzelt in Altenkirchen schon fast wie zu Hause. Um 16 Uhr ist der Soundcheck für Tom und seine Musiker anberaumt und für uns selbst verordnete Anwesenheitspflicht. Bisher kenne ich ja nur das fertige „Produkt“, jetzt habe ich endlich einmal Gelegenheit, die Vorarbeit des abendlichen Haydn-singt-Heller-Universums zu erleben. Die Musiker haben zunächst alle Hände voll zu tun, bis der Set steht und die Instrumente an ihrem Platz sind. Alles in self-made, keine dienstverpflichteten Roadies helfen. Jede Menge Equipment, nur der Flügel steht während des Festivals dauerhaft auf der Bühne bereit.

Ich sitze in einer Nische des Spiegelzeltrundes und schaue und höre dem Treiben gebannt zu. Vorn am Mischpult neben dem Eingang steht Peter, der Mann für den guten Ton. Er kennt weder die Band, noch die Musik, muss sich ganz auf sein Gespür verlassen, auf sein Können und auf die Vorgaben der Musiker. Und diese möglichst perfekt umsetzen. Es ist manchmal ein Geduldsspiel, bis alle Instrumente eingepegelt und aufeinander abgestimmt sind. Ein Hin und Her, soundchecktypische Laut-, Sprach- und Wortfetzen fliegen durch die Luft, Handzeichen, Fachjargon, den ich nicht immer einordnen kann. Welches Instrument, wie auf welchen Monitor, Center, Kicks, die Rechner auch, ein Hauch von hier mehr und von dort weniger, da ist noch ein Kellergeräusch drin, da ist die Stimme zu flach, es koppelt irgendwas, da sind zu viele Spitzen, kannst du die noch kappen? 2. Gitarre auf Piano, Sax auf Center, Geige ganz ohne, etwas Hall drauf, bitte, den max. Pegel der Loops, hast du den Loop auch auf deiner Seite, brauchst du noch mehr, mehr Körper da, bitte, aus dem Unterbauch…. Sieht alles entspannt aus, hört sich unaufgeregt an, ist Erfahrung aus vielen gemeinsamen Konzerten und Kunst. „… bitte, eine kleine Änderung im Ablauf der Instrumente, der Phrasierung in diesem Stück, sonst isses an dieser Stelle zu leer, lass uns das besser so machen….“

Die ganze Prozedur dauert fast drei Stunden, länger als ein Konzert ist, doch die Band will natürlich ein perfektes Programm spielen. Das ist Anspruch und Verpflichtung. „Komm, lasst uns noch einmal das Stück durchspielen“, bittet Tom, damit wir’s mal komplett hören…. Er geht in den Zuschauerraum, um von dort noch ein paar Feintunings zu dirigieren und dann war’s das. Die Kunst hierbei ist heute leider auch, sich auf einen nur spärlich besetzten Innenraum einzustellen und trotzdem höchste Klangpräzision und auch Spielfreude rüberzubringen.

Es ist höchst bedauerlich, dass sich heute nur wenig Publikum für dieses Abendprogramm entschieden hat. Das ist wirklich bitter und tut mir in der Seele weh, schade, schade, schade. Ist das musikalische Thema André Heller zu unbekannt, erzeugt es Berührungsängste oder liegt es an… ja, an was liegt es? Dabei passt dieses Haydn-singt-Heller-Programm ganz hervorragend in das Ambiente des Spiegelzeltes. Die, die nicht dabei waren, wissen nicht, was sie verpasst haben. Das sind nicht irgendwelche Coverversionen, nachgesungenes Zeug mit viel Gottvertrauen in die Technik, um sich mit anderen Federn zu schmücken, sondern höchst stimmige Interpretation mit eigener Farbgebung durch eine Band, die an Präzision einerseits und Einfühlungsvermögen in die Welt André Hellers andererseits ihres Gleichen sucht. Sie verneigen sich voller Hochachtung vor dem Werk des großen Meisters und erlauben sich gleichzeitig, diesem ihren eigenen Stempel aufzudrücken.

André Heller schreibt voller Poesie, voller Leidenschaft, voller Metaphern. Wenn Worte Musik werden, dann sind Jo Barnikel und Norbert Nagel die Erzähler. Thomas Simmerl schafft Atmosphäre, indem er mit einer Fülle von mitunter überraschenden Geräuschen Akzente setzt, sogar mit zwei Gartenscheren schneidet er den Takt. Jessica Hartlieb hebt jedes Lied mit ihrem bezaubernden Geigenspiel in den Himmel. Richard Kleinmeier ist der Saitenkünstler an akustischer wie E-Gitarre und am Banjo. Er ist als dritter Mann mitverantwortlich für dieses Gesamtkunstwerk, das I-Tüpfelchen und das Einmaleins. Und Tom ist der Frontmann, der Vermittler, Chef de Mission, der Überbringer der guten Nachricht. Er erweckt Hellers Lieder wieder zum Leben, gibt ihnen Flügel, legt sein Herz in dieses Atlantis und lässt es für uns wieder auftauchen.

André Hellers Lieder sind zeitlos. Sie zählen gut drei Jahrzehnte und haben dennoch keine Altersringe. Jeder, der gelebt, geliebt und gelitten hat, kann sich darin wieder finden. Himmelhochjauzende Liebe, die Welt auf den Kopf gestellt, völlig losgelöst, voller Träume und voller verrückter Ideen und das Leben ist ein Karussell.

Dann der Absturz aus den Wolken, abgrundtief und so schmerzhaft wie vom Seil gestürzt, wie ein müder Akrobat, es war nur Liebelei, Liebe war nie dabei, wenn die Liebe geht, was kommt dann? Ratzenfressen, abgrundtiefe Wiener Depression, wenn das Leben unerträglich und ein einziger Spott ist und Erinnerungen wie Schlingpflanzen deine Seele herunterziehen.

Hellers Texte sind süßer jugendlicher Überschwang, Wehmut und Bitterkeit des Alters und das ganze schöne Leben dazwischen, mit allen Höhen und Tiefen lotet er es aus voller Melancholie und mit ganz eigenem Charme. Er bereitet ein Bett wie echte chinesische Seide und ich mag mich ganz gern dort hineinlümmeln.

Tom und seine Band liefern auch heute Abend ein grandioses Heller-Programm. Schon bei Jean Harlow, dem rassigen Charleston, war die Überzeugungsarbeit gelungen und am Ende war mit der alten Dylan-Hymne Für immer jung vom Altenkirchener Spiegelzeltchor viel mehr als nur höflicher Applaus zu hören. Kein Wunder, hatten doch Tom und seine Band mit leichter Hand ganz nebenbei zwei Jahrhunderte Musik gestreift und sich dabei quer durch alle Stilrichtungen und zurück zu Tom Heller und André Haydn gespielt.