Musikanten sind in der Stadt
Tom Haydn mit "Pikanterien" im BKA Theater in Berlin - 17. bis 29. Januar 2007

von
Christel Amberg-Wiegand
 

…in dieser Stadt Berlin, die glaube ich keine Stille kennt, nur quirlig, lebendig ist, ständig bemüht, jeden Tag aufs neue der Unterhaltungsszene etwas Neues zu bieten, um sich vielleicht selbst zu überraschen. Sich dem Wettstreit unzähliger Veranstaltungen stellen und um die Gunst des abend-teuer-lustigen kunst- und kulturverwöhnten Publikums erfolgreich buhlen und zu behaupten ist der sportliche Auftrag. Tom Haydn mit seinen nicht minder brillanten Musikern Jo Barnikel und Norbert Nagel präsentieren ihr Programm „Pikanterien“ an drei Abenden im Berliner BKA.

Ein freundlicher aufmerksamer Service für gepflegte Getränke und mehr sorgen für angenehmes Ambiente in wirklich stilvoller, schnuckelig feiner, kuschelig aber ganz und gar unplüschiger Atmosphäre. Den offiziellen Namen „Berliner Kabarett Anstalt“ habe ich nach dem Studium des Januar-Programms umgehend in „Bunte Kabarett Abteilung“ umgedeutet. Mittwoch Abend Premierenabend! Ich habe schon das große Flattern im Bauch, wie mag es dann erst den Musikern gehen? Die große Anspannung löst sich etwas nach den ersten beiden Titeln und am Ende kann ich ohne Übertreibung behaupten, der Einstand ins Berliner Nachtleben ist getrost als absolut gelungen zu bezeichnen. Die Bergfest-der-Woche-Feierer haben Tom und seiner Band einen tollen Empfang beschert.

Pikanterien zum Zweiten hieß es dann am Freitag. Meine kleine Nervosität versuche ich einfach zu ignorieren, schließlich bin ich Publikum und darf mich hemmungslos dem Genuss hingeben. Es ist mir eine Art Grundnahrungsmittel und Lebenselixier, nicht nur Konsumieren. Und es ist wirklich etwas Besonderes für mich, bei der Berlinpremiere von Tom Haydn und seiner Band dabei zu sein. Es ist nämlich auch meine Berlinpremiere und deshalb doppelt spannend. Zum Glück gibt es keine wie auch immer gut gemeinten Begrüßungsvokabeln eines Kulturbeauftragten. Gut so. Die erwartungsvolle Spannung entlädt sich im ersten Applaus an die Künstler und verpufft nicht schon im vorhinein.

Da winden sich durch den schwarzen Bühnenvorhang die Bassklarinette und der Flügel, Norbert Nagel und Jo Barnikel, und bereiten dem Voyeur alias Tom Haydn die Bühne. Schlank und rank, im feinen dunklem Tuch gibt er den Womanizer des Abends. Tom nimmt sich genießerisch das, was unsereiner sich nicht wagen würde, riskiert säuselnd-schnurrend einen unverschämten Blick und bedient sich dabei völlig unschuldig den Schubiduh-uh-uhs und der tief chansonierten Klarinette für die Show-ow-ow. Es ist der perfekte Opener und zielt auf den Totengräber, der nicht ohne einen gehörigen Schuss Pietätlosigkeit in spitzzüngig mittelmelancholisch frecher Friedhofsatmosphäre die Vorzüge seines Berufsstandes preist.

Diesmal lässt Tom sich nicht von seiner anfänglichen Nervosität irritieren und zieht das Publikum souverän mit hinein in seine Welt. Dabei sind Jo und Norbert als Begleitmusiker – die pure Untertreibung!! – , allererste Sahne!

Wie oder was ist Pikanterien? Wie die Zutaten des Lebens, die es lebenswert machen: schmackhaft, bitter und süß, ohne die alles fad wäre, die den Schmerz, die Lust, die Liebe, das Laster, den Alltag und die Nacht krönen oder demütigen, hell oder dunkel machen, laut oder leise. Die Würze des Lebens, aromatisch, scharf, delikat, herzhaft, das Aroma des Gefühls und des unerlaubten Tuns, vielleicht anrüchig und anstößig, ein wenig anzüglich und frivol, etwas unanständig, ein wenig unfein, ein Hauch obszön, eine Spur von Schmutz? Was wäre alles ohne?

Wenn die Männer alt sind, Depressionen, Tauben vergiften im Park, natürlich Die Metzgerin oder das vom Leichenschmausevent handelnde Rindfleisch mit Semmelkren sind alle herrlich einfühlsam-böse, aufrichtig-schräg und hauptsächlich genussvoll-makaber. In Toms Repertoire wimmelt es nur so von schrägen Typen. Manchen hat das Leben gebeutelt. Die Grenze zwischen der fetten Übertreibung und dem hintergründigen Witz, der mir auch beim x-ten mal Hören einen Lachmuskelkater in die Gesichtsmuskulatur treibt, ist fließend. Dafür haben Tom und die Jungs eine kleine Änderung im ersten Teil des letzten Abends vorgenommen. Scheinbar winzig, nur einen Titel eingebaut, aber das isses, das I-Tüpfelchen und gehört ganz diesem Klischee. Das Weanerische an sich dick aufgetragen in Wort und Musik! A bisserl von dem beschreibt es ganz klar, das Seeerveruuusss, der Schmäh, dekadent und präpotent, das ganze Titel-Geschisse, Opernball, Heurigen, Schnösel, dass der Tod a Weaner ist und die luftgesölchten Schädel und der Zentralfriedhof dem Fremdenverkehrskult dienlich sind. Das ganze Tun und die Performance sind die schiere Wolllust am schändlichen Treiben und eine Augenweide und Hochgenuss für die Ohren! Dahinein und drumherum bereiten Jo und Norbert ein musikalisches Lotterbett, eine Lümmelwiese, dass es nur so in den Ohren rauscht. Sie sind wahre Stimmungsmaler an ihren Instrumenten, Seiltänzer der Töne, Akrobaten der Gefühlsklaviatur, Artisten auf dem Notenhochseil. Jo wienert den Flügel, dass es nur so walzert oder greift schon mal beherzt in die Tasten. Norberts Saxophone und Klarinette feiern Schlacht-, Hochzeits- und Liebesfeste bis zum letzten finalen Seufzer.

Das Berliner Publikum ist wunderbar! Das Mittwochspublikum herzlich aufgeschlossen und am Ende hellauf begeistert. Freitags kommen die, die sich das Wochenende einläuten und bereiten einen unvergesslichen Abend. Die Pointen sitzen, das Publikum erwidert den kleinen Flirt mit glucksenden Lachern und immer wieder Zwischenapplaus für die Könige der Nacht. Was da zwischen den Notenlinien auf der Bühne geschieht, die Blicke im Hintergrund, ein kurzes Kopfnicken, stumme kleine Zeichen als Aufforderung zum Tanz, ist ein Konzert auf einer anderen Ebene. Der spitzbübische Übermut klingt in jeder Note mit. „Herr Barnikel, bitte löschen“ fordert der auf, der das Feuer entfacht hat. Hinreißend, voller Esprit, die Funken sprühen nur so. Da liegen mehr als 1000 Volt in der Luft. Es gibt so viele magische Momente, viele wahre Worte in diesen Liedern. Sie wecken Gefühle, die ich für lange gut verschlossen habe. „Es ist nicht wichtig zu entsprechen, wichtig ist, dass man lebt“. Lieder-lich oder schon altersweise? Zweifelsohne großes Gefühlskino, Herzklopfen bis Herzrhythmusstörung.

Manche Dame wäre vielleicht gern der gehauchten Verführung erlegen und der süffisanten Aufforderung zu einer Affäre gern gefolgt. Und die anwesenden Männer träumten vielleicht von einem Wahnsinn-serlebnis mit dieser fleischgewordenen Marmorgöttin in einer Bar. Soll’s alles geben. Und ich werde nie diesen kleinen bitter-süßen Moment, diese unendliche Stille im Vakuum, vergessen, die nach Was bleibt folgte! Der donnernde Applaus war so etwas wie Erlösung. Das muss man erstmal über die Bühne bringen, es schauert mich, berührt mich bis ins Mark. Die Drei auf der Bühne kosten wie alle diesen ganz intimen Moment aus, bevor Tom uns anschließend überrascht und überzeugt mit seiner Interpretation des Knef-Klassikers Für mich soll’s rote Rosen regnen, die das Publikum enthusiastisch feiert und mit in den Abschiedsapplaus nimmt. Das ausverkaufte Haus am Samstag Abend setzt dem Ganzen die Krone auf. Denn das ist eigentlich die Schlussnummer, aber soviel Begeisterung und Glanz in der Hütte gehört einfach belohnt und verlängert. Das Strahlen in den Gesichtern der Band hat gar nicht genug Platz, soviel Überglück ist kaum zu fassen. Ein Lied über die Versäumnisse des Lebens Wann, wenn ned jetzt? schafft noch einmal unsterbliche Momente und ist die Vollendung eines über alle Maßen gelungenen Abends.

Tom, du hast jetzt einen Koffer in Berlin!

Fotoalbum Konzert
 

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de