Österreichische Seele hält Einzug ins Ländle
         ....am zweiten Tag des Festivals "Licht der Hoffnung"
"Haydn singt Heller" im Udeon Unterensingen am 24.11.2007

von
Christel Amberg-Wiegand
 

Üblicherweise ertönt „Die wahren Abendteuer sind im Kopf“ als Ouvertüre. André Hellers Geist wabert dann in beschwörenden Klängen über die Bühne und in die Ohren des Publikums. Heute aber wollen die schwelgenden fließenden Töne von „Und dann siehst du Sie“ gleich alle Aufmerksamkeit. Ein Himmel voller Geigen tut sich auf… Ja, da sehe und hör ich sie endlich wieder, die grandiose Band um Tom Haydn mit dessen Lieblingsliedern André Hellers. Tom hat sich seinerzeit seinen Traum erfüllt, als er nur unter seinem hocheigenen Qualitätsmerkmal „Mein Lieblingslied“ diese Titel für dieses Programm aus dem Heller-Repertoire aussuchte. Dass es so erfolgreich wurde, spricht für die beiden Künstler und Menschen Tom Haydn und André Heller – gedankenverwandt und Künstler mit Herz und Seele, wenn auch in anderen Ligen.

Eines dieser Lieblingslieder ist „Maria Magdalena“. Üppige Bilderwelt aufregend in Tango, von lieblicher Geige umschwebt bis zum letzten Hauch. Ganz im Gegensatz zu „Wenn der Morgenregen fällt“. Der ist durch und durch frisch und leicht, wie er die Nacht abkühlt auf dem Weg in den Tag. Die Farben dieser Zwischenwelt malen Richie Pavone, alias Richard Kleinmaier, an der E-Gitarre und Paul Hochstädter am Schlagzeug und Percussion wunderbar bunt und höchst vollendet.

Die Lieder sind eine hochfeine Canache feinster Musik von Klarinette und Piano, leben vom Flirt mit der Geige und sind gestützt auf ganz feinfühlige Percussion und meisterhaftem Gitarrenspiel. Macht Spitzmäulig. Kussmund. Lippenlecken. Aber Toms  Interpretation erst macht es zum Gesamtkunstwerk. Er füllt diese Lieder mit Leben, auch und ganz und gar bitter und süß. Er kehrt sein Innerstes nach außen, seine Augen sprühen nur so vor Feuer und Leidenschaft, die Anspannung unter dem weißen Anzug entlädt sich in jeder Geste immer bis an die Grenze. Ein Genuss ohne Gleichen. Leider hat es diese vollendete Kunst voller Seele und die Leidenschaft, die in dieser Musik steckt, etwas schwer, diesen Saal und die Menschen zu erreichen. Das Publikum ist lange scheinbar weit weg oder nicht auf Empfang. Vielleicht liegt es am so neuen Saal. Noch ungelebt und groß und hoch und weit mit viel Glas und wenig Atmosphäre. Statt dessen mit dem Charme einer multifunktionalen Veranstaltungshalle. Es scheint mir nicht der passende Ort für zwischenmenschliche Tonmalereien. Aber Tom und sein Ensemble ziehen alle Register ihres Könnens und natürlich gelingt es ihnen, Wiener Eleganz, Esprit und Wärme zu verbreiten. Die kühlen Materialien werden es gespeichert halten, ganz gewiss! Und das Publikum erst recht auch.

Die Lausbuben Jo Barnikel an den Tasten und Norbert Nagel am Gebläse führen mich durch Hellers weanerisches Heimatviertel, von ihm in einem „Tagebuch mit Kreide“ geschrieben und jetzt in Töne und Klänge einer Kaffeehausgeige vollendet neu geschrieben, gebest und geswingt, bis mich dieser lange Tonseufzer der Bassklarinette befreit und erlöst. „I möcht unsichtbar sein“. Jetzt ist das Publikum dabei, die Musik hat es endlich erreicht. Kein Wunder! Wunderbarer Jo, der Schalk sitzt ihm in den Fingern und auf den Tasten. Hinreißend beschreibt Tom „ob der Kaiser noch lebt“ und wächst förmlich über sich hinaus in Hingabe und Verehrung für „Du Du Du“. Die pure Magie! Stimmungswechsel par Elegance! Charleston ist angesagt, Modetanz der 20iger, und eine zügellose Hommage an Jean Harlow. Fransenkleider, Zigarettenspitze, der Berliner Salon, das Lebensgefühl, Jo bringt es sensationell auf den Punkt. Leute, das ist doch ansteckend! Die 20iger waren doch erst gestern! Vielleicht zeigt man so nicht gern Gefühle. Keine Angst, es bleibt doch alles unter uns und in dieser Halle.

Zeit für eine Pause. Zeit für ein Gläschen Prickelwasser beim Rätselraten, was Tom Haydn wohl in der zweiten Hälfte seines Programms servieren wird.

Sie eröffnen ganz schmissig und schwungvoll mit einem bunten Medley klassischer Melodien von Radetzkymarsch bis zur Filmmusik des Dritten Mann und … ahhh, jetzt klappt es mit der Zuneigungsbekundung. Jessica erntet zu Recht einen großen Applaus, sie spielt wirklich unglaublich. Sie outet sich einmal mehr als Teufelsgeigerin  – und wahrlich, das ist sie. Sie spielt in einer Art Töne auf ihrer Geige, von denen ich sicher bin, dass sie in keinem Notenblatt stehen. Jetzt ist jeder einmal dran mit der hohen Kunst des Solos: Richie an der E-Gitarre höchst präzise und ohne Allüren jeglicher Art, Jo walzert die Blaue Donau mit ungeheuer viel Witz und Pfiff. Norbert verliert sich in einem hinreißenden Solo magischer Klarinettentöne, füllt die Stille mit zarten zerbrechlichen Tönen, man könnte eine Stecknadel fallen hören…Lachen und Weinen und Jauchzen und Träumen… während Tom fast unauffällig in das Bühnenlicht tritt ... er hatte seiner Band den Vortritt gelassen, um die Luft vorzuwärmen. „A Zigeuner möcht I sein“ singt er jetzt und Richie lässt dazu die Gitarre jaulen, Jo braust mit einem Solo furioso über die Tasten, dass einem Hören und Sehen vergeht. Sie sind eine Klasse für sich darin, die farbigen prallen Bilder und wehmütigen bitter-süßen Welten des André Heller in Töne zu kleiden. Sie legen den roten Teppich aus und ich lasse mich bereitwillig in seine Welt entführen. Dort bewahren mich dann Toms tief schürfende Gedanken über die fußballverbindende Kultur der EM im nächsten Jahr vor allzu großem Herzschmerz, um gleich drauf „Ich bitte um die Töne, meine Herren“ mit „Wean, du bist a Taschenfeitl“ einen weiteren Wesenszug der Stadt Wien offen zu legen. Jo spielt dabei die Basstrompete, so zart, wie ich dieses Instrument noch nie gehört habe. Und die Klarinette erst! Und die Geige! Wohltemperierte schwere Weaner Kost, in der sogar Klezmerklänge ihren Platz haben.

Dann scheinbar triefendes Selbstmitleid? „Ratzenfressen“ - leb’ ich noch? Ja – und wie! Mit leisen, schmerzvollen Tönen, in rotes Bühnenlicht getaucht, fühle ich mit Tom, „Wenn die Liebe geht“, bis zum letzten Herzschlag dieser atemlosen Stille vom Sopransax in den Untergang erzwungen … Der Ausflug in den Jazz, das lichte, flockige, ein bisschen frivole und so überschwängliche „Ich will“ befreit wieder ins Leben - mit Haut und Haaren: ja, ich will!! Doch, wenn es denn sein muss, wenn es soweit ist, „Wenn ich amal stirb“, dann bitte so! Sie nehmen das Unausweichliche herrlich auf die Schippe. Norbert Nagel kehrt tief im Knie überm Mikrofon die ganze Gefühlsduselei zusammen mit Jessicas überspitzten Tönen jenseits der Tonleiter einfach um.

Damit neigen sich die Hellerschen Lieblingslieder des Tom Haydn dem Ende entgegen, die erste Verbeugungszeremonie nimmt ihren Lauf. Doch dieser Versuch scheitert erstmal – wie gewünscht – am donnernden Applaus des Publikums! Es kommen „Die Narren des Königs“ in Person dieses Ensembles mit einem absolut närrischen Sopransax, so schön jenseits der Grenzen.

Nicht nur im Heller-Repertoire zeigt sich ihre Klasse und vor allem, dass sie unendlich viel Spaß miteinander haben. Dylans Klassiker „Für immer jung“ bildet auch heute Abend den gemeinsamen Abschluss vor der Autobahn. „Wir bleiben gleich hier, dann ersparen wir ihnen das Herausklatschen“, sagt Tom. Wir sind zum Mitmachen und Mitsingen aufgefordert. Doch es bleibt ein bisschen verhalten.

Der Journalist der Nürtinger Zeitung spricht in seinen Dankesworten von „Einem Abend der Lieder des Protestes gegen die Diktatur des Verstandes“. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Tom und seine Musiker haben uns die Gedanken- und Gefühlswelt André Hellers auf so wunderbare Art näher gebracht. Sie haben diesen über dreißig Jahre alten Liedern André Hellers den Staub der Jahre weggepustet und neues Leben eingehaucht.

Am Schluss haben wir haben noch einen Wunsch frei. Es schwappt eine Woge überschwänglicher Begeisterung auf die Bühne. Dafür gibt es noch einen echten Tom Haydn zu hören: Tom mit Norbert und Jo schenken uns „Wann, wenn ned jetzt!“ und machen damit hoffentlich Appetit für einen weiteren Besuch im Schwäbischen.



Fotoalbum Konzert
 

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de