Frisch gewienert!
Tom Haydn mit "Haydn singt Heller" im BKA Theater in Berlin - 29.01.2008 bis 31.01.2008


von
Christel Amberg-Wiegand
 

Der dritte Anlauf zur Pflege der Berlin-Österreichischen Freundschaft, im Speziellen der Gastfreundschaft des BKA hoch über den Dächern Kreuzbergs, widmet sich an drei Abenden den Chansons André Hellers, die ebenda ein neues Leben eingehaucht bekommen; mehr noch: Tom Haydn und sein Orchester haben frisch gewienert! Und diesmal in einer ganz besonderen, ich möchte fast sagen, intimen Form, ist es eine wirkliche Neuentdeckung. Das große Haydn-singt-Heller-Programm wurde komplett neu arrangiert. Die Notenmeister haben neben dem Reichtum der großen Bandbesetzung, die noch mit einer beseelten Geige, mit einem feinfühligen Schlagzeug und zuweilen krachender E-Gitarre auftrumpfte, mit diesem hochfeinen Neuarrangement für Flügel und Gebläse mindestens Ebenbürtiges geschaffen. Da sprühen nur so die Funken vor Vitalität. Keinen Moment komme ich in die Versuchung zu vergleichen oder vermisse etwas. Das Spiel mit dreien lässt viel Raum für jeden und den nehmen sie sich! Frisch gewienert! Tom Haydn hat damit das Abenteuer fortgesetzt und sich den Traum, die Lieder André Hellers neu zu interpretieren, sozusagen ein zweites Mal erfüllt. Die Lieder, die in ihm ein kleines Stückchen Wien am Leben gehalten haben. Wer sich daran wagt, muss es gut machen, muss gut sein!

Mit den Abenteuern im Kopf bereiten sie uns auf die poetische, wort- und bildmächtige Welt des André Heller vor. Tiefe Bassklarinette und launischer Flügel bereiten Tom den roten Teppich. Es wird eine kleine, feine Selektion bitter-süßer Momente.

Für dieses Programm hat Tom noch einmal tief in die Hellersche Schatztruhe hineingehört und einige neue Perlen geborgen. Die Kinder sind immer aus Wien klingt wunderbar leicht und unbeschwert – und es wären nicht Lausbubenkünstler am Werk, wenn da nicht Oh, du lieber Augustin durchklingen würde. Das Wienlied im zweiten Teil bekommt eine ganz eigene Realität, da stirbt einer, den sie begleiten und beneiden und von draußen dröhnt das Martinshorn hinein. Und was wäre so ein Liederabend ohne Bitter und Süß? Ohne Lilliputaner, ohne A Zigeina, ohne Taschenfeitl, na, und erst Gemma schaun? Tom singt und spielt wie berauscht von Hellers Geist und dabei leicht und unangestrengt. Ja, natürlich ist ihm der Hellersche Gefühls- und Gedankenkosmos nicht fremd und dessen Sprache ist ja auch seine. Aber dieser Spielwitz, diese Spielfreude und diese ungeheure Bühnenpräsenz ist Toms eigenes Instrument und er weiß es einzusetzen. Auf den Punkt! Es toppt die Lieder ohne ihnen den Boden zu entreißen.

Es geht immer um die Liebe. Heller hat unglaublich schöne Liebeslieder geschrieben. Aber wie Schatten gibt es eben auch eine dunkle Seite. Tom liest Leon Wolke und traut sich an ein düsteres Thema in Hellers Repertoire und setzt damit bewusst einen Gegenpunkt zum bisher Gehörten. Die Bassklarinette liefert nur eben so den Hintergrund, gerade wie ein Hörspiel lenkt es den Spot auf das Wort ohne sich selbst zu verleugnen. Tom und Nobs entwickeln dabei ein Millisekundenzeitgefühl füreinander, abwartend, sich herantastend an Ton und Text und lassen Zeit und Raum für das Bedrückende, Beklemmende zu ertragen. Später wird Tom mit einem Text vom richtigen Etikett aufs falsche Sein noch einmal diese Magie heraufbeschwören und baut damit eine sehr passende Brücke zum nächsten Titel Ja, ich will! Ein Hohelied auf die Liebe, schnauzig, schnolzig, schmonzig wie es sein muss und keinen Deut weniger. Hellers Texte spiegeln sich hier mehrfach wider: in Toms Interpretation, in den Klarinetten und Saxophon und im frisch gewienerten Klavierlack sowieso!

Die erste Halbzeit ist gefühlt fast zu kurz. Doch der flotte Charleston à là Jean-Harlow ist der perfekte Schlussakkord für den Run aufs Prickelwasser zur Pause. Es geht schmissig weiter. Nobs und Michael – da entwickelt sich was! Ein feuriges Medley aus der KuK-Musikalienlandschaft erwartet uns. Hör- und Sehvergnügen allererster Klasse! Ein Norbert Nagel kann mit seinen Gebläsen ein ganzes Orchester ersetzen! Er hat ein unglaubliches Gespür für Stimmungen und weiß die Luftströme zu lenken, wie sie diesen - seinen - Klang ergeben. Ein begnadeter Virtuose! Da lässt er die Klappen tanzen, sprüht Feuerfunken, klettert in höchste Töne, feuert sich und uns an… los geht’s, Tanz, Tempo, Freude…. ein faszinierendes Meisterwerk von Ideen! Er dreht mächtig auf, sucht seinen Partner drüben am Flügel, Michael lässt sich natürlich auf dieses Spiel ein und erwidert es…. Jetzt traut sich auch Tom wieder auf die Bühne.

Es gibt so viel Heller wie Klischees von Wien. Eines davon ist das Fremdenverkehrstauglichste: der Tod is a Weaner. Mit allen Attributen und mit allen Zeremonien die es ausschmücken und der schon sprichwörtlichen Melancholie. Und wenn’s nicht so wäre? Wenn I amal stirb – so herrlich schräg, so dick aufgetragen mit herrlicher überdrehter Mimik und dem Kunstgenuss Musik mit ebenso überdrehten, abgekippten, übergeschnappten Tönen, lässt es an dem letzten irdischen Thema direkt Gefallen finden.

Ein Programm voller großer Momente, zart und voller Intensität, voller Wucht und Pracht auch. Musiker, die mit Herzblut und Leidenschaft die Lieder André Hellers jeden Abend neu entdecken. Texte, die einen gefangen nehmen, berühren, entführen in eine andere Welt oder einfach ein Lächeln im Herzen versenken – oder unermesslichen Schmerz. Nichts ist zu viel oder fühlt sich falsch an. Schade nur, dass nicht mehr Publikum von den Ankündigungen in der Fachpresse neugierig wurde. Jeder, der nicht da war, hat einen Abend voller Wiener Charme, Gefühl, kleine, feine, bitter-süße Momente, für die es lohnt, einmal kurz die Zeit anzuhalten, und sei es nur für dieses Kleinod Wie mei Herzschlag, verpasst. Eines, das jeden Herzschrittmacher aus dem Takt bringen würde, so sehr trifft es da hinein. Dann die Hymne schlechthin, Für immer jung, besagt es und so machen wir’s: „vor Liebe brennen und vor Begeisterung“ jetzt hier und heute! Ganz liedermacherlike hat sich Tom den Mundibalken umgeschnallt und die Gitarre, Nobs die Ärmel hochgekrempelt, Michael die Finger noch mal durchgeknackst. Ein perfekter Schlusspunkt. Die Zugaben sind natürlich geplant, aber wenn sie so frenetisch eingefordert werden, umso erfreulicher. Denn eines bleibt noch zu sagen: Wann, wenn net jetzt. Ein echter Haydn braucht sich neben all den Hellers nicht zu verstecken. Ein Lied für hinter die Ohren zu schreiben, hinter den Spiegel zu stecken, ein Protestsong gegen das Zögern, für den Mut von jetzt!

Kompliment und großes Danke dafür, dass Tom seine Heimwehlieder noch einmal angefasst hat und mit Nobs und Michael zwei so exzellente wie verständnisvolle Musiker an seiner Seite weiß. Wie gesagt, die Lieder André Hellers können ein ganzes Orchester beschäftigen oder eine Band – müssen sie aber nicht. Diese drei und gut. Vorsicht - frisch gewienert!.

Fotoalbum Konzert
 

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de