Toms Unterhauswelt
Tom Haydn mit "Pikanterien" im Mainzer Unterhaus 3.10.2009


von
Christel Amberg-Wiegand
 

Der Wiener an sich in seiner fatalistischen Grundstimmung ist das genaue Gegenteil des lebensbejahenden Mainzers. Der Punkt ist gemacht, Lachen erlaubt. Die Koordinaten des Abends: österreichisches Chanson-Kabarett, Pikanterien, Tom Haydn und sein wunderbares Orchester mit Chansons von Kreisler, Heller und natürlich Toms Eigenblut. Frech-charmant, aber auch mit unerwarteten Zwischentönen und gelegentlich gar nicht so unernst, aber schwermütig ist anders. Gerade diese Mischung macht’s. Kabarett ist der Teil des Ganzen, der ein bisschen piekt oder eine innere Alchemie in Gang bringt, die Weinen in Lachen verwandelt oder umgekehrt. Chanson ist die andere und liegt bei Tom. Von Kopf bis Fuß, vom Scheitel bis zur Sohle seins. Beste Voraussetzungen also für einen schönen Abend. Michael verleiht dem Flügel Flügel. Die Klarinette klingt witzig spritzig, voller Charme das Sax, dazu die warme Tiefe der Bassklarinette. Sie zünden ein Feuerwerk an Musik für wirklich jedes Komma, jedes Wort und vor allem dem Dazwischen. Wer jemals die Ballade von der Metzgerin erlebt hat, betritt nie mehr eine Fleischerei nur unter dem Aspekt des Nahrungsmittelkonsums. Sie endet immer tragisch, aber nie traurig. Dafür sorgt schon das hitzige Liebesspiel des Herrn Nagel! Er kann auch Tierliebe auf die Spitze treiben. Da werden Affären öffentlichkeitstauglich und die maßlose Unbesonnenheit des Lebemanns zum lebensbejahenden Fazit.

Gleich im ersten Titel gehen sämtliche Wiener Klischees hops. A bisserl von dem… und dem… und dem… und schon ist man drin in der multikulti Dorfwelt der Mostviertelkinder. Das Publikum amüsiert sich prächtig über so viel Frechheit, die Ohren sind gespitzt, die Pointen sitzen.

Der Frühling treibt aus. Zum Tauben vergiften einerseits und birgt jede Menge Mannesqualen andererseits. Ein Mann geplagt von diametralen Bewegungsabläufen des nach vorn oder zurück Schauens an dieser Schnittstelle des Lebens, wo Mann nicht weiß wo Mann steht. Zurück ist Völlerei bei schamloser Krensentimentalität, sind Milchbankerlg’schichten und briefträgerbiologische Vererbungslehre in bäuerlicher Gummistiefelkultur und schließlich die Erkenntnis der sinkenden Fehlerquote im Lebens-Mittelalter. Man(n) kann nicht alles haben in der Depression! Rosa-rote Brille auf und drauf gepfiffen.

Am Ende verstreuen sie Rote Rosen. Tom lehnt galant am Flügel und lässt vergangene Träume passieren. „Geld verdienen und doch Spaß, nicht allein sein und doch frei“. Seine Interpretation des Klassikers ist weit entfernt vom Knef’schen Ohrwurm und doch wieder nah dran und natürlich überschäumend bunt, unbedingt und prall voll Lebenslust. Ja. Ja! JA! Das Unterhaus-Publikum hat’s verstanden. Denn wer so ungeniert in den Lustbarkeiten des Lebens weanert, mit so viel Leidenschaft die Lotterlichkeiten des Lebens auftischt und so hinreißend bühnentauglich über einen widerspenstigen Notenständer siegt, gehört längst nicht mehr in die Geheimtippecke. Da helfen auch nicht ehegeflüsterte Weisheiten von partnerschaftlicher Evolution und Konsensfähigkeit.


Fotoalbum Konzert
 

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de