Nehmense Drei, habense Eins mehr
Tom Haydn mit "Pikanterien" ibeim SWR Mainz und in der Kelterscheune in Urberach 25.&26.02.2010


von
Christel Amberg-Wiegand
 

Wie der das macht? Baggert schamlos Frauen an, mischt sich ungeniert und ungereimt unter eine Leich-Gesellschaft (was ein Wort!), sitzt meditierend vorm Katzenklo, vergiftet Tauben im Park – sucht gar immer noch den Kaiser und sinniert über das zerbröselte Eheleben und und und. Aufarbeiten einer womöglich traumatischen, aber doch behüteten Kindheit. Die agrarökonomisch geprägte Lebensform nur schwach durchsetzt vom Fremdenverkehr, daher eher inzestiös oder siechend krank mit Hang zum Fatalismus, der in seiner depressivsten Form gleich den Fiaker bucht. Toms Kindheitstopografie im Spiegel der bäuerlichen Subkultur, soziophilosophische Betrachtungen und meditative Selbstbestärkung erlebt das Publikum wortwörtlich nach und mit. Bühnentaugliches Jammern auf höchstem Niveau – ungeniert und keine Spur misanthropisch. Glück auf niedrigem Niveau kann ziemlich freudvoll sein. Jammern auf hohem Niveau ebenfalls. Jedenfalls dann, wenn es so todernst, staubtrocken, zynisch-süffisant souverän dargeboten wird, dass einem das Lachen garantiert in der Gurgel stecken bleibt. Männer kriegen ihr Fett weg, während Frauen fett werden. Toms Betrachtungswinkel in das Leben mal von vorn, aus der Mitte oder vom Ende steckt voller Überraschungen. Denn: man muss sich das Leben nehmen und dem Leben geben. Toms Pikanterien sind eine Huldigung an das Leben, die Liebe und den Tod. Nicht immer schmerz- aber garantiert kitschfrei. Manchmal ist Humor, wenn man trotzdem lacht. Tom hat dafür seine eigene Sprache und er quält sich Gott sei Dank nicht damit rum, sie gewaltsam nicht österreichisch klingen zu lassen. Wie sollte es auch passen, sein Ich in deutsch-deutsch zu verkleiden. Wenn Gedanken und Sprache nicht mehr deckungsgleich sind und „falsch“ klingen, ist’s vorbei mit Geschmeidigkeit.

Apropos geschmeidig: dass auch der musikalische Teil höchst geschmeidig, saftig, locker, mal witzig, mal frech und …. jawohl! auch erotisch daherkommt, liegt zum einen an Norberts göttlichem Gebläse und an Michael, der den Flügel zuweilen fliegen lässt. Und wenn zwischen den beiden erstmal der Funke übergesprungen ist, kann’s schon mal passieren, dass sie ein bisschen abheben in ungeahnte Höhenflüge. Seit Gitarre als Mädchenlockmittel für den Schlafsack diente, kann Tom es aber auch ohne die beiden. Drei Konzerte fast am Stück tun den drei Kulturschaffenden ganz schön gut. Im SWR Kultur-Foyer legen sie ein Set auf die Bretter, das mich nur so staunen lässt. Und die gut 300 Gäste zu Begeisterungsstürmen hinreißt. Wiener Klischees, Geschisse, Küss’ die Hand, Schwipser und Hixer, Sterben-Jammern, Jammern-Sterben – dick auftragen, aber nicht zukleistern ist eine hohe Kunst, die Tom perfekt beherrscht. Seine Lieder tragen immer das richtige musikalische Gewand, mal ist es wie dünne Gaze, mal wie schwerer Goldbrokat. Und wenn das Saxophon plötzlich Rotlicht hat, jede Menge Schmutz auf den Klappen schwül daherkommt, Michael die Tasten brettert, ist’s schwarzes Leder und manch einer scannt in Gedanken vielleicht schon mal die Mainzer Barszene. Tom ist Meister der Pausen, der ungesagten Worte, der Andeutungen. Er ist ein Spieler mit Gefühlen und wer sich traut, muss sie aushalten, die Stimmungen. Freier Fall Geh, geh, geh…, Metzgerin schräg-skurril und Tod eines Lebemannes Ja! So! Soll! Es! Sein! holt uns wieder runter. Launig, großherzig, galant, mit breiter Brust Rote Rosen und noch mal alle Register ziehen höllisch-grotesk dem anlassgemäßen Trübsal absolut unangemessen Wenn I amal stirb. Hach, was für ein Vergnügen! Und als Zugabe dann, als be-denkenswerte Devise über den Nachhauseweg hinaus: Wann, wenn ned jetzt: zwei Seiten ein und derselben Sache: Leben!

In der Kelterscheune in Urberach spielen die Drei so locker auf wie beim Schaulaufen der Sieger. Alles eine Nummer kleiner, aber keine Spur weniger prall. Sie ziehen alle Trümpfe, die in einer kleinen Lokation mit so einem tollen Publikum möglich sind und gewinnen.

Zwei Wochen später eine weitere Audienz im Unterhaus. First we take Mainz, than we take Berlin – so geht das! Und auch heute wieder im eigens für diesen zweiten Besuch geänderten Programm hinreißende Schätze von Liebe, Lust und Leben. Mainz ist weiß Gott von den Größen der Zunft reichlich frequentiert, aber Tom ist definitiv eine andere Spielfarbe, so eine zwischen allen, eine ganz seltene und deshalb wertvolle, eine, die man suchen muss. Ich erlebe (m)eine Live-Premiere von Elke und Mit der Zeit gehen. Beide Titel haben schon ein paar Jahresringe. Und siehe da, überarbeitet, aufbereitet, neu arrangiert, neu interpretiert, sind sie wie frisch von Heute. Und ein Wiederhören gibt’s auch mit Was bleibt. Drei wunderbare, genussvolle, Abende waren das und denke mal bloß nicht einer, wie? dreimal das gleiche Programm? Rindfleisch mit Semmelkren schmeckt doch auch nicht immer gleich!


Fotoalbum Konzert Mainz
Fotoalbum Konzert Urberach
 

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de