Fortsetzung:

Der andere Teil des Abenteuers liegt vermutlich schon ganz viele Jahre zurück. Für das Wagnis, die Musik André Hellers neu zu interpretieren, braucht es sicher Mut, großes Selbstvertrauen und vor allem geniale Musiker, die sich auf gleicher Ebene bewegen und gleich getaktet sind. Seelenverwandtschaft sozusagen.

Ich lasse mich nieder im roten tiefen Plüschsessel und bin bereit mein Abenteuer zu beginnen. Sphärische Klänge, mal schräge verzerrte, mal warme Töne erzeugen Spannung und Aufmerksamkeit die musikalische Welt zu betreten.

Tom verinnerlicht diese "seine" Musik. André Hellers Sprache ist auch seine Sprache. Wohl auch daher kommt das feine Gespür dafür den Zauber aufzunehmen, den diese Lieder innehaben, ihn nach außen zu bringen und mich teilhaben zu lassen. Er kokettiert spielerisch mit allen Klischees, macht auch mal einen auf Schlagerfuzzy, nur um uns zu beweisen, dass "das Andere" die viel bessere Seite ist. Diese Hommage an den großen Meister André Heller gelingt hundertprozentig, weil er es nicht einfach nachmacht, sondern mit seiner ganz eigenen Kraft und Identität füllt und zu neuem Leben erweckt.
Immer wieder bin ich verzaubert von der Atmosphäre, den Stimmungen, dem tiefen Einverständnis und vor allem der großen Liebe und Verehrung für diese Heiligtümer. Tom wußte seine Melancholie gut aufgehoben in diesen Liedern, sagt er, und vermutlich ist dieses sich darin Wiederfinden das Geheimnis dieser Magie.

Diese Liebe und Leidenschaft müssen auch die Musiker spüren, sonst könnten sie nicht so eine Musik machen. Niemals! Das kommt von ganz tief drinnen und ist auf der Bühne spürbar im genialen Zusammenspiel wie von blindem Verständnis untereinander. Sie spielen sich leichtfüßig die Bälle zu, nehmen sie auf und führen sie weiter bis zur Vollendung am Schluss eines Liedes. Ganz oft ist es dann völlig still im Saal bis auch wirklich die letzte Schwingung im Raum sich aufgelöst hat und sich diese bunt schillernde Musikseifenblase auflöst in Applaus! So wie am Ende von "Du Du Du" Jessicas Geige verklingt und ein Vakuum zurückläßt. Eine fast beängstigende Stille. Und endlich nach einer scheinbaren Ewigkeit kommt der verdiente lange Applaus. WAS für ein Liebeslied!!!! Gänsehaut allover! Wie ein kleiner Tod – und Wiedererwachung.

Sie ziehen alle Register, bluesig-jazzig, Tango und Charelston, zum Beginn des zweiten Teils ein temperamentvolles hinreißendes Medley mit dem Radetzkymarsch, Ungarischer Tanz, Der dritte Mann, Donauwalzer und vielem anderem mehr, unglaublich neu anders witzig spritzig kommt es daher und rüttelt tüchtig die bekannte Ordnung durcheinander. Absolute Übereinstimmung, einfallsreiche witzige Umsetzung bis ins Detail.

Tom und seine brillanten Musiker haben meine Musikwelt ein wenig gerade gerückt, denn die "Wiener Spielart" war mir immer ein bisschen "zu sehr" vor allem süß. Oder zu intellektuell. Zugegeben, das ist wenig und vor allem höchst unvollständig, aber bisher blieb mir der Zugang verwehrt, außer pflichtgemäß in den wilden Jahren ein bisschen vom Danzer und ein bisschen vom Ambros. Tom und alle anderen haben kräftig gekratzt an meinem falschen Musikweltbild Made in Austria. Haben die Etiketten neu beschriftet. Da gibt es natürlich die Melancholie, den klebrigen Schmäh, die tiefe Traurigkeit, den bitteren Sarkasmus, den morbiden Charme und den Spott, bitter und süß. Alles finde ich darin. Aber nicht süß wie Honig und klebrig wie Baumharz, sondern bewußt und gewollt inszeniert und manchmal mit einer feinen Ironie vollendet. Weit entfernt von der Musik, die ich mir sonst auf die Ohren tue, bin ich von mir selbst überrascht, wie leicht es mir fällt, darin einzutauchen.

Was natürlich auch an den Musikern liegt! Ich täte Unrecht, wenn ich einen besonders herausheben würde aus dem traumhaften Ensemble. Die langjährige Zusammenarbeit mit Jo Barnikel und Norbert Nagel ist sicherlich das absolut tragfähige Fundament. Die beiden spielen sich scheinbar mit leichter Hand die Themen zu und man spürt einfach das blinde Verständnis für- und miteinander. Mal temperamentvoll und skurril, mal zarte und zerbrechliche Töne wie durchsichtiges dünnes Glas. Jessica Hartlieb entlockt ihrer Geige Töne, von denen ich bisher nicht wußte, dass man sie auf einer Geige spielen kann und Richard Kleinmaier setzt mal auf der E-, mal auf er akustischen Gitarre wunderbare Akzente und feinfühlige leise Klangbilder. Auch am Banjo! Niemals zuviel oder zuwenig, niemals aufdringlich oder aufgesetzt, immer passend und perfekt in das Lied dienlich. Am meisten überrascht mich Thomas Simmerl mit seinem Einfallsreichtum und Ideen, den Tom als den Kapitän vorstellt. Sein Schlagzeug hat wenig mit den Rock 'n Roll-Drums gemein. Er entlockt seinen Gerätschaften allerlei überraschende Töne, ja mitunter Geräusche, "Scherenpercussion" und vieles mehr. Angenehme Erfahrung nebenbei, dass ein Schlagzeug nicht zwingend laut sein muss, um zu wirken – ganz im Gegenteil, die feinen kleinen Dinge wie Nebensächlichkeiten eingestreut machen das Bild bunt und erst komplett.

Ich bin zugegeben ein großer Fan von all diesen Gebläsen, die Norbert Nagel da um sich drapiert und mich damit abwechselnd in tiefste Verzückung und noch tiefer in den roten Sessel rutschen läßt. Töne die unmittelbar unter die Haut gehen, ins Herz treffen und wohliges Kribbeln im Bauch verursachen. Und wenn das Temperament mal mit ihm durchgeht, funkeln die Augen zu Jo rüber, ein spitzbübisches Lachen geht über sein Gesicht und darin ist große Freude zu sehen. Zum Glück kann der Mann auch am akustischen Bass glänzen und gönnt mir damit eine kleine Pause im Klarinetten-Saxophon-Himmelbett. Jos Ergänzung zum Gebläse sind Horn und Trompete, absolut stimmig eingebracht, wenn der Song "zufällig" kurz auf seine feinen Tastenkünste verzichten kann. Augen- und Ohrenweide gleichermaßen von links nach rechts und zurück quer über die Bühne.

Das gut zweistündige Programm ist unglaublich abwechslungsreich zusammengestellt. Nette kleine Geschichten überleiten zun mächsten Titel – es darf gelacht werden! Die Dramaturgie stimmt einfach. Ein großes ehrliches Kompliment an alle, die am Gelingen dieses Programms beteiligt waren.

Und zum Schluss schaffen Tom und sein  "wunderbares Orchester" es doch noch, das Publikum aus der Reserve zu locken und ein bisschen aufzumischen. Merkwürdiger Weise und mir völlig unverständlich waren die Herrschaften in den Sitzreihen etwas zurückhaltend. Aber die Schlussnummer kann niemanden kalt lassen: "Für immer Jung – for ever young"! Der Klassiker schlechthin, hinreißend zelebriert und mit viel Herzblut über die Bühne gebracht, bringt die Gäste zum Mitklatschen und Mitsingen, bevor die letzte Abschiedszeremonie mit langer tiefer Verbeugung eingeläutet wird.

Also, wem André Heller mitunter zu schwer war, vielleicht zu sperrig, dem nimmt Tom in seinem Programm die Berührungsängste, macht es leicht aber nicht oberflächlich. Ich bin froh, dass ich mich auf dieses Abenteuer eingelassen habe. Na ja, es ist ja nicht gefährlich für Leib und Leben, nur für die Seele ein bisschen. Sie weint ein wenig, wenn der letzte Ton verklungen ist.

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de