19.September 2006, Josefina Solo im Spiegelzelt in Altenkirchen

Andalusisches Feuer entzündet das Spiegelzelt

Vierter Tag des musiktrunkenen Wochenendes – wir gehen in die Verlängerung. Glück und Leid liegen so dicht beieinander. Der Veranstalter des Altenkirchener Spiegelzeltes musste wegen der kurzfristigen Absage von Gianni Cosica/Gianluigi Trovesi einen Plan B aus dem Hut zaubern. Glück im Unglück: Josefina Fernandez hatte zwei Tage zuvor zusammen mit Stéphane Casalta und Pippo Pollina eine fulminante Premiere und konnte noch einen Tag länger bleiben, während die korsischen Freunde ihren Rückflug antreten mussten. Sie nahm ihr Herz in die Hand und spielte es direkt in die Herzen der Zuhörer. Bis auf ein paar ganz Wenige sind alle geblieben, als sie hörten, dass das Programm geändert werden musste. Und es sind auch einige Zuhörer gekommen, die durch die örtliche Presse, Radio und Internetpräsenz mitbekommen hatten, dass Josefina heute noch einmal spielt. Wir haben es uns natürlich auch nicht nehmen lassen, dieses Ereignis mitzuerleben. Auch die Kölner Freunde Renate, Silvia und Micha haben nach Feierabend einen kleinen Spurt auf den Asphalt gelegt und haben sich die persönliche Betreuung nicht nehmen lassen. Große Wiedersehensfreude und Josefina ist ganz glücklich über soviel Unterstützung.

Nachdem Helmut das Publikum begrüßt und noch einmal die Programmänderung erläutert hat, betritt Josefina unter sehr herzlichem aufmunterndem Applaus die Bühne. Sie erzählt ein paar Worte über sich und ihre Musik und Silvia als inzwischen erprobte Übersetzerin macht Josefina dem nicht Französisch verstehenden Publikum bekannt. In Josefinas Blut fließt das Andalusischer Zigeuner, ihrer Vorfahren. Ich weiß, das ist nicht political correctness, aber sie sagt es selbst so. Der Flamenco habe sie seit ihrer Kindheit begleitet und heute Abend singe und spiele sie eine Melange aus Pop/Rock/Flamenco, eigene Lieder, aber auch einige, die viele sicher kennen. Sie freue sich sehr, dass so viele gekommen und vor allem geblieben sind!

Und dann legt sie los! Mit ihrer ungeheuren Bühnenpräsenz, ihrer wunderbaren Stimme und ihrer Ausstrahlung gewinnt sie das Publikum im Nu, mit jedem Lied verbreitet sie ein Stück andalusisches Lebensgefühl. In ihre Stimme legt sie ihr ganzes ich. Sie schenkt uns in ihren Liedern ihre Natürlichkeit, ihre Herzlichkeit und Wärme, gerade so, als wenn die Sonne aufgeht und den Tag hell und schön macht.

Das ist ein völlig neues Hörerlebnis für mich. Feuer, Rhythmus, pures Temperament – das ist Musica Flamenco! „Ich werde mein Leben neu erfinden in den Linien deiner Hand“ übersetzt Silvia den Titel eines Stückes. Die Musik dazu ist voller Energie und Erwartung auf ein neues Leben, auf eine neue Liebe. Ein anderer Titel ist „Piensa en mi“ Denk an mich, ein Titel aus dem Film "Tacones lejanos“ (von Pedro Almodóvar) und „Meine Großmutter weint“. Wehmut und Trauer aber auch viel positive Kraft steckt in diesem Stück. Es schwillt an und flaut wieder ab, ist wie das Leben voller Höhen und Tiefen. Am Ende hält sie den Ton eine kleine schöne Ewigkeit lang und das Publikum applaudiert spontan. Ich bin vollkommen fasziniert, so etwas hab ich noch nie gehört. Und bis zum Schluss klingt er so stark wie zu Beginn. Es gibt sie also doch, die zweite Luft, die zweite Lunge.

Etwas Typisches, etwas Besonderes am Flamenco ist natürlich die Stimme mit dieser ganz eigenen Klangfarbe. Sie klingt auf eine Art orientalisch-arabisch. Josefinas klingt für meine Ohren nicht so streng, ist wandlungsfähig, weniger dramatisch als in den vielleicht „klassischen“ Formen des Flamencos. Ich bin einfach gefangen! Noch dazu, weil ich die Augen gar nicht lösen kann von ihr. Da ist nämlich noch diese ganz eigene Art, die Gitarre zu spielen. In so einer atemberaubenden Geschwindigkeit, dass es mein Auge kaum erfassen kann und selbst das Kameraauge überfordert ist. Die Klänge, die da in das Ohr dringen, sind wie ein Schwarm bunter Kolibris. Und wenn Josefinas linke Hand den Gitarrenhals herunter gleitet und die rechte die Saiten zupft, klingen die Töne irgendwie gedämpft, während sie gleichzeitig höher und höher werden. Nicht genug - der Gitarrenkörper wird zusammen mit der Cajón zum Perkussionsinstrument und gibt der  Musik das rhythmische Gerüst. Ich könnte stundenlang auf diese Hände schauen und verstehe trotzdem nicht das WIE?

Wenn jemand den ersten Schritt getan hat, die Musik in sein Ohr und sein Herz gelassen hat, dann ist der zweite Schritt zu den Texten ganz nah. Viele Zuhörer fragten in der Pause nach den deutschen Texten auf der CD. Ist Deutschland doch das Land der Dichter und Denker?

Im Programm der zweiten Hälfte sind viele der bekannten spanischen Hits wie Baila, Baila, La Bamba und Guantanamera, La camisa. Und obwohl die ja wirklich schon Generationen von Musiker interpretiert haben, klingen sie von Josefina ganz neu. Ganz pur, ganz realistisch, ganz natürlich ohne viel Schnickschnack. Sie hat kleine Sternchen in den Augen, als sie das letzte Stück ansagt „um das zurück zu geben, was ihr mir heute Abend gegeben habt“. Gern geschehen, Josefina, es war mir und gewiss auch allen anderen eine große Freude und ich freue mich, wenn du nächstes Jahr ganz bestimmt wiederkommst. Hasta la vista!

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de

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