Ho Chi Minh Warm up

Für Zöllers dritte Networksession bittet dieser (immer diese zu hohen Mikros!) höchstselbst die Teilnehmer auf die Bühne: In Neudeutsch heißt das Kompetenzteam, sprich: Ein Kompetenzteam ist eine Gruppe von Personen, die sich mit Sachverstand einem Thema widmen. Und diese Band gehört zweifellos zum Besten was in dieser Angelegenheit aufgeboten werden kann: Musik Kölner Schule mit sinnhaften Worten dargeboten in oskarpreisverdächtiger Performance. Alles Kompetentiker, die bereits in mehrfacher Zusammenarbeit sich ihrer Qualifikation versichert haben: an den Tasten „what a man!“ Jürgen Fritz, an den Gitarren Doppel-Kompetenz mit Frank Hocker und Helmut Krumminga, am Bass Werner Kopal und Schlagzeug und Chef-des-Abends-mit-Gastgeber-Kompetenz Jürgen Zöller. Frontmannkompetenz Gerd Köster. Ein Veritabel-Krach-Kompetenz-Team. Und das taten sie dann auch. Und zwar zur vollsten Zufriedenheit und mit höchstem Spaßfaktor. Geht beides. Die Luft in Karlsruhe ist ja geschwängert von höchstrichterlichen Entscheidungen, dagegen kann man natürlich nur als Team bestehen, sonst wird einem ruck-zuck die Kompetenz aberkannt. Nicht auszudenken wäre das!

Wer immer dafür verantwortlich ist, dass Jächt sein Kompetenzteam des aktuellen „Jedrisse, Baby“-Projektes erweitert hat, der etwa heimwehkranke Fan-Chef in Ho Chi Minh City oder dem vielleicht nach Abwechslung drängenden Jürgen Zöller, war erst die Henne da oder das Ei, ist eigentlich egal. Das Ergebnis zählt: unsereiner partizipiert davon, an diesem Kultur-Krawallereignis außerhalb Kölns, das so selten ist wie Schneeflöckchen im August. Und weil’s auch in Köln selbst nicht allzu oft auf dem Veranstaltungskalender steht, sind eigens zu diesem Behufe ein paar seiner Bürger gen Süden gepilgert. Auch unser Lieblingskölner. Dem wurde mehrfach an diesem Abend mobiltelefonisch leichte Unzurechnungsfähigkeit bescheinigt, so exotisch ist das, wenn das ein Kölner tut. Kurz gesagt: Kompetenzteam trifft auf Partizipationspublikum. Im Laufe des Abends erweist sich das als äußerst fruchtbare Konstellation!

Erster Abendordnungspunkt: Kamell vum letzte Johr. Die können gar nie so alt sein, dass sie mich nicht immer erfrischen und sich überhaupt nicht ausgelutscht anhören. Auf der Stelle stiebt Funkenflug eines lodernd heißen Feuers, auf der Bühne und davor. Und immer hinein mit dem Zunder…. Diese Hitze fühlt sich verdammt gut, Jungs! Explosionsgefahr von Beginn an. Versuch einer Abkühlung „was Depressives, sonst komm ich zu gut dropp“ Kopp in d’r Sand. Wunderbare Depression, oder? Eine fette Schweineorgel, klirrende schneidende Riffs erzeugen Starkstrom. Das sieht fürwahr aus nach saumäßiger Lust am Spielen und hört sich genau so an. Just for fun gilt sowieso für die Seniorentitel auf der Setliste, die mittlere Reife-Titel und erst Recht die Youngsters des Jedrisse-Albums. Die kommen richtig gut raus. Sind prall und fett und griffig-knackig aufgemotzt, leicht funky, schwer breitbeinig gerockt oder luftig karibisch angehaucht: die Klugscheißerohrfeige Schlau, Ausdruckstanz, tief geldreligiös, und der Kracherkracherkracher Dunn dat. Den Rubelgurus ’ne fette Ansage! Hier ist die seltene Umkehrung von beinahe kammermusikalischer Filigranarbeit auf Open-Air-gerechtes Hokus-Pokus absolut-hundertprozentig-gleichwertig gelungen.

Wie heißt es im Untertitel auf dem Ticket? „An evening of musical friendship“. Dä. So nennt man das. Musikalische Freundschaft. Und die Inhalte dieser Freundschaft sind bleibende Werte aus Pianos Zeiten bis hin in die Gegenwartsliteratur. Alles nur vom Feinsten. Als sie ihr Repertoire aufgebraucht hatten, war dann Schluss – hätte wegen mir in eine Wiederholungszeitschleife gehen dürfen. Unmäßigkeit gehört zum Suchtverhalten. Das rechtfertigt sich mit jedem Song aufs neue, Anunfürsich…, Ruude Jolf, Schön dich ze sinn, und natüüüürlich Maach op und Alles im Griff und Jupp und und und… Und was wäre das alles mit ohne dem bissig-ironisch, satirisch-zuckersüßen Geplauder, das Jächt trefflich zwischen die Stücke streut und das gelegentlich von Frank aufgepickt und auf gleichem Level pariert wird, gelegentlich sogar untertitelt bzw. selbst synchronisiert! Das ist ein Stück Bühnenqualität, das ich auch für den Preis eines weiteren musikalischen Freundschaftsdienstes nicht missen möchte. Dienstleistung für anders Sprechende und Hörende. Aber dann sehe ich Jächt immer wieder für eine kleine Flasche die Lippen spitzen und denke, was ein Drama! Da singt der Mann von ausgelassenen Feten, Kneipenblues, von alten Zeiten im Allgemeinen und Besonderen, wettert über den gesundheitspolitischen Unfug der Raucheriskriminierung mit ’ner Flasche Wasser in der Hand und ohne auch nur irgendwas Qualmendes zwischen Zeige- und Mittelfinger. Furchtbar. Pausenalibi.

Wenn nicht gerade das Hirn völlig losgelöst und in seligem Taumel sich dem musikalischen Treiben hingibt, ist es außerdem eine rechte Freude zu sehen, was so zwischen den Noten geschieht. Auch die stumme Kommunikation im Team klappt hervorragend: Helmut und Frank finden sich blind, ein Kopfnicken rüber zu Jürgen F., dem Maestro der Tasten, taktische Zeichen dem Mann am Sound, gelupfte Augenbrauen über lachenden Augen … und Zöller selbst pflegt nach Jächts Zeugnis die Keith-Moon-Schlagzeugschule: „wenn es sich nicht bewegt, schlag so lange mit dem Stock drauf, bis es das tut!“ Genau! Es gibt Szenenapplaus noch und nöcher.

Und als Zugabe beweisen sie einmal mehr ihre Kompetenz für außergewöhnliche, echte, wertvolle, lupenreine Interpretation musikalischen Urgesteins: unglaublich, unaussprechlich, der pure Wahnsinn in Potenz, Augen- und Ohrenschmaus, Hingebung gleichsam: Wild Horses, den Stones sei ewig gedankt, eine Ehrerbietung, prickelnd, hochfein. Helmut, Jächt und Frank singen absolut stones-like. Dazu runder großer weicher gitarrenschwerer Sound, ein letztes Aufbäumen vor dem Schlussakkord, der 1000 Johr gehört. Ich könnte jetzt und hier kraftlos zusammenfallen und die einzige Rettung wäre eine weitere Überdosis dieser Droge. Das textsichere Publikum weiß zu danken. Und Zöller bringt es auf den Punkt: „Charisma hat einen Namen: Gerd Köster!“

Also, ihr Lieben, das schreit doch förmlich nach…, ihr wisst es längst,… dem Naherholungsgebiet mit der großen Bühne drüben auf der Schääl Sick. Ich meine, so etwas darf man doch nicht nur nach Ho Chi Minh City tragen! Ich gönne es den Menschen ja von Herzen, aber doch nicht exklusiv! Das wäre doch die pure Verschwendung. Schließlich sind wir doch auch wer. Partizipationspublikum. Na und, ist das nix?

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de

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