Druckluftbetankung die Zweite - sechs Tage später

Sechs Tage voller Ungeduld – den Wetterbericht unter schärfster Beobachtung. Am Tag der Tage ein kurzer Schauer, das war’s. Ein Abend wie für unsere Götter gemacht. An dessen Ende eine kräftiger Schauer, quasi als Rausschmeißer, der, ehe ich mich berappelt habe, vorbei ist.

19:20h – wir scharren schon mit den Füßen, klatschen, pfeifen, rufen uns warm bis endlich, unter einer Geräuschkulisse der eines landenden Hubschraubers nicht unähnlich, die Jungs die Bühne betreten. Der Anblick mag sie erfreuen, der Kölner ist zum Glück, möglicherweise, eventuell, doch nicht werberesistent. Es ist doch immer wieder beglückend, dass basierend auf Vertrauen, einem jährlichen Miteinander und gegenseitiger Wertschätzung eine denkbar beste Basis entsteht, um musikalisch das umzusetzen, was verbindet: Die Begeisterung für hervorragende Songs, gut erzählte Geschichten und eine grandiose Bühnenperformance.

Also, um es vorweg zu nehmen: wenn es im Waldfrieden Druckluftbetankung war, hier wird es eine Pressdruckluftdruckbetankung sein! Ich schwöre, nebenan der Messeturm hat gewackelt! Die bewährte 5er-Mannschaft hat sich blendend eingearbeitet, legte eine sensationelle Inszenierung auf die Bretter, die, wie wir alle wissen, nur einmal im Jahr stattfindet. Maat Höösch ist eine einzige wunderbare Heuchelei! Frank kommt als erster an die Rampe und straft mit seinem Solo Maat Höösch Lügen. Gerhard S. findet derweil beinahe seine Handwerkszeuge nicht. Es folgt der Stapellauf dreier neuer Stücke. Hingerhoff, wortgewichtig handelt es von jungen erlebnisorientierten Kölschen mit perforierter Erwerbsbiografie. Oder: wer nach dem Aufwachen nicht träumt, ist selbst schuld. Fettpott – Freunde gewonnen, Drama begonnen. Die 70er lassen grüßen, diesmal schwingt sich Helmut mit einem Solo in die Nacht.

Gleich, bei Joggingbotz darf er sitzen, während Brahm sich locker in den Hüften wiegt. Ist das eigentlich Samba? Und trägt ein Grinsen um die Augen zum blind werden. DER Knaller im neuen Programm: Jächt mit Spekuliereisen auf Patrouillie durch die Nachbarschaft, Auftrag: „das geht uns alle an, wir haben das Recht zu wissen“. Toll gemacht, die Nummer. Jächt zieht alle Register und Facetten des gewissenhaften Blockwarts, die Musik ist schwer dräuend, das Schlagwerk mit Wollfilzkopf macht es noch mehr dumpf und düster. Wer in den Spiegel guckt, dem bleibt das Lachen im Hals stecken. Szenenwechsel Rotlichtbezirk, damals, als die abgefuckten Rollen noch klar verteilt waren. Arm in Arm mit Frank posiert Jächt und dazu das vielstimmige Schallalla, Hohn oder Spott? Das Publikum ist längst der heiligen Gruppendynamik anheim gefallen, ist hautnah dabei, geht mit, hört zu, lacht und hat jede Menge Spaß. Die Stimmungsparameter passen. Ein Brett, eine Wand, ein Befehl: Mitsingen! Dunn dat. Wuppizität! Und die Brillis krachen, zwei Gitarren, ein Auftrag. Heute klappt das mit dem Text verstehen besser. Jott is fott, hat ne Scheiß Agentur, is in nem Meeting, singt Jächt, und die 50 Jahre Weltverbesserungsversuche enden in Resignation. Durch Muhl op stampfen sich die Gitarristen und der Basser. Das ist rauer, geradliniger drei-Bärte-Blues, wie geradewegs aus den USA importiert, rockt und rollt ohne Umwege in die Pause.

Im Krätzche-Duett – quasi als zukunftsweisende Geschmacksprobe - ich lüge nicht, das was hier kracht und durchgeht wie ne Dampfwalze, funktioniert keinen Deut weniger, wenn Jächt nur von zwei Gitarren flankiert, jede Silbe, jede Note und in feinster Pantomime vorlebt - geht’s dann weiter. Frank und Jächt geben De Fleech, das Süper-Zimmermän-Ding reloaded. Authentizität wird hiermit anwaltlich versichert. Lachsalven ebenso. Die 5 %-Westerwelle-Rüdin und Phantomgespräche mit dem Synapsologen muss ihm erst mal einer nachmachen. Dann, „mer weede immer mieh“ kalauert Jächt und ruft Helmut auf den Plan. Seniorenstift zum Mitsingen gegen den Altersblues. Pech hann gibt’s noch mit Helmuts wunderbarem Fingergliding und ganz kurz getaktet und schon geht es wieder in die Vollen. Antwort, die ewige Positivdenkerei, Heh am Rhing noch ein bisschen Schmutz reingekippt und den Ausdruckstanz hundertprozentig börsentauglich aber völlig wertfrei. Zum schon mal die Stimmbänder dehnen, es kommt ein Drecksblues mit nem Arschloch vor dir und Blümchentapete an der Wand, das Ende ist nahe, der ultimative Hammer steht bevor und der Beweis, dass jeder Song in Würde altern kann, wenn man ihn nur jedes Jahr aufs Neue entstaubt. Alles im Griff hat von der Magie und dem Geist absolut nichts verloren… da machen die Fünf ein Fass auf und ich denke, hey, wie wollt ihr da je wieder den Deckel drauf kriegen?

Fühlt euch alle gedrückt und gebützt für 1000 Johr, der Tanzbrunnen und ich im kollektiven Gesangsrausch, unbeschreiblich! Das geht sowieso nur so! Laut und leidenschaftlich mitsingen, sonst kann man es nicht aushalten. Möge Rich Schwaab von dieser Seelenpein genesen sein, die ihm einst diesen Text verdauen ließ. Wunderbares kölsches Pathos mit der ganz großen Kelle.

Zuuuuugaaaaaabeeeee!!! Wir haben’s versucht, grinst Jächt, und droht ein Heimatlied an. Von purer Sünde und übler Niedertracht. Wir wissen welche Buure Säu gemeint sind. Sogar die Kids sind textsicher.

Jeile Welt ist und bleibt das Stück für den Nachhauseweg. Vor uns verneigen sich fünf handverlesene Musiker von naturbelassener Schönheit mit dem Anspruch was gibste was kannste und davon viel. Es hilft nix, gar nix, eine Viertelstunde pfeifen, klatschen, singen, grölen, Zugabe-rufen. Es ist o.k., klar sind wir nimmersatt, aber mal ehrlich, gute zweieinhalb Stunden beste Unterhaltung ist ein fairer Deal. Die Vier mögen unseren Lärm mit Freude gehört haben, aber man muss aufhören können, wenn es am Schönsten ist. Basta. Die Jungs gehen jetzt wieder in ihre Umlaufbahnen und mögen sie zur der weisen Erkenntnis gelangen, im September 2012 wieder hier aufschlagen zu wollen.

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de

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