Durchhalten!

Konstantin Weckers Konzert

Von Daniel Bartetzko

Manchmal ist ein Konzert wie eine Zeitreise. Dieser Abend in der Hugenottenhalle in Neu-Isenburg scheint eine zu werden. "Vaterland / Improvisation" heißt das Motto: Konstantin Wecker im Duo mit Jo Barnickel, der ihn an Trompete, Keyboard, Bass, Stimme begleitet. Rasch merkt man: Es wird schwierig. "Ich kann dich nicht lieben / ich kann dich nicht hassen, Mir reicht mein Vater zur Genüge / Ein ganzes Land als Vater war schon immer eine Lüge", erfährt man sogleich.

Wecker vollführt dazu ein Kunststück: Den einen Finger erhebt er mahnend, den anderen legt er in die Wunde, trotzdem spielt er beidhändig Klavier. Dazu schwitzt und leidet er hochgradig; an Deutschland, an sozialer Kälte, am Privatfernsehen, an Alter, Krieg und den USA im Besonderen wie im Allgemeinen.

Dies ist nicht hyperreflektierter Diskursrock, auch nicht die Rebellion des Punk. Es ist das Chanson des Weltverbesserers, des aufrechten Linken, der von Frieden und Gerechtigkeit in einer besseren Welt träumt. Wie zu Hochzeiten der Friedensbewegung, als man Tschernobyl auf Overkill reimte. Wecker reimt, frei von Ironie, alt auf kalt. Und improvisiert selbstvergessen und -verliebt auf dem Klavier. Soll man fliehen?

Da gibt es nur eins: Sag Nein! Denn das, was er da formuliert, ist ja nicht die Unwahrheit. Der Mann singt von dem, was ihn beschäftigt, ohne massenkompatible Anbiederei zu betreiben. Und schon immer schwankte er zwischen Plattitüden und Geniestreichen. Der Willy war vor 25 Jahren solch ein Geniestreich. An diesem Abend muss er nicht zum millionsten Male erschlagen werden. Heute führt der Sänger ein Gespräch mit dem Toten. Und dieser Moment wird zum Paradebeispiel der Grenzgänge Weckers: Hätte man nicht den Taliban schon lange vor dem 11. 9. den Waffen- und Geldhahn zudrehen können? Ohne Streubomben, mit politischen und wirtschaftlichen Mitteln? fragt er den Willy aus dem kraftvollen Song von einst und gerät im Jargon deutlich in die Nähe eines altlinken Betroffenheitsstammtisches. So passiert es, wenn einem beim Wort Krieg das Blut in Wallung gerät und die Worte vor persönlicher Betroffenheit und Ablehnung plakativ werden.

Dem Publikum ist's egal, das ist begeistert. Hier sagt jemand das von einer Bühne herab, was offenbar viele glauben, so nicht mehr sagen können. Sie haben gejubelt, als Wecker im Lied Amerika über George W. Bush singt "Er wäre uns erspart geblieben / hätt' man in Texas abgetrieben". Ein Sänger, erst recht einer der alten linken Schule, darf das, eine Ministerin wäre weg vom Fenster.

Doch oft ist Wecker inmitten aller Wehs und Auas in Pointe und Biss Meistern wie Georg Kreisler und gar Kurt Tucholsky ebenbürtig. Und für eine Zeile wie "Ich föhne mein Haar / dorthin, wo es früher war" lohnt es sich, sämtliche in Worte gefassten Holzschnitte des Abends zu ertragen.

 

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Dokument erstellt am 29.10.2002 um 21:08:51 Uhr
Erscheinungsdatum 30.10.2002