Fortsetzung: Diese fast bedächtige Eröffnung aus JF’s Buch „Carnet pour Sarah“ führen die Sänger fort mit drei wunderschönen Polyphonien: mit dem Klassiker Salve, den JF wie eine Lobpreisung anstimmt, über das Kyrie von Maurice eingeleitet, und das im Spiel der Stimmen im Requiem mit Alains strahlendem Tenor endet. Dann ist der Bann schon gebrochen, das Publikum erobert. Allabendlich richtet JF herzliche Worte der Begrüßung an die Zuhörer, die auch in der Wiederholung ganz bestimmt aufrichtig gemeint sind. Wie froh sie sind, wieder unser Land zu besuchen und die Freundschaft zu erneuern. Sie sei nicht umkehrbar. Deswegen bin ich hier, denke ich, während aus dem Off die Alma-Worte in den Saal schallen. Die ersten Akkorde dazu, Achims Fundament aus den Keys unter Alains hell leuchtenden Tenor mit Leib und Seele, wörtlich, echt und rein wie klare Luft. JF steht dann oft mit weitem Blick etwas abseits im Halbdunkel und singt still mit, legt die Hände ineinander und ist tief versunken in der schweren Melodie. Doch seinen Einsatz verpasst er natürlich! nie. Spätestens wenn Stéphane ans Mikrophon tritt, stellt sich bei mir Gänsehaut ein. Mit dieser kleinen Besetzung sind I Muvrini einfach sehr persönlich, die Stimmen brillieren in ihrer Ursprünglichkeit mit den Polyphonien. Kleine kostbare luftanhalte-zeitstehenbleib-Momente sind Un sognu pè campà, Di, Un so micca venuti, Le temps qu’il fera. Filicone - Alain und Achim sind das A-Team mit Stimme und Piano! Dramatisch loten Achim und JF Ott am Cello die Klänge aus bis zum leisen Schluss. Da freue ich mich einfach an der puren Schönheit der Musik. Wenn ich jetzt das Kopfkino einschalte und das Züricher, Münchner, Stuttgarter, Mainzer und Kölner Programm an mir vorbeiziehen lasse, fallen mir zu jedem Abend kleine Besonderheiten ein, ein außergewöhnlicher Moment, ein schönes Bild, und allen gemeinsam ist die Freude zu sehen und zu hören, mit der I Muvrini ihre Musik jedes Mal rüberbringen. Sie können auch anders, haben verschiedene Klanggesichter, können auch die großen Shows. Ich kenne beides, bestaune die grande Scène, aber ich liebe die Nähe, die intime Stimmung, das Miteinander, die Freude, die hier von der Bühne kommt. Das Programm wird fast jeden Abend ein wenig umgestellt.
Reine Intuition, aber auch ständiges „Lernen“. Die
Kraft der Lieder ist irgendwie gewachsen während der Tour. So ist es
gut, dass I Muvrini mit dem Konzert in der Münchner Muffathalle ein bisschen Perkussion auf die Bühne geholt haben.
Kleinigkeiten mit großer Wirkung. Gerade die ruhigeren Passagen erhalten
dadurch etwas mehr Struktur und ein bisschen Leben auf der Bühne kommt gut.
Stéphane hat mit viel Spaß seine Premiere als Perkussionist erlebt, Bongani hat
ihm einen erfolgreichen Schnellkurs verpasst. Er hat sowieso Glanzpunkte mit
seiner tollen Stimme gesetzt. Gelegentlich kam sie leider nicht so gut durch,
aber Fate ist einfach sein Song! Tok toktok tok toktok – wie
Herzklopfen – dann die Pianoperlen obendrauf und die dunklen Geigen
drunter. Und obwohl I Muvrini wahrlich ein großes Repertoire haben,
bringen sie Fate noch mal in der Zugabe. Als wollten sie es uns extra an Herz
legen, mit Nachdruck und als Verpflichtung! Es wird immer begeistert und
großherzig aufgenommen, Fate entwickelt sich wirklich zu einer weiteren Hymne. Der Soundcheck ist manchmal eine richtige Herausforderung. Jeder Saal, jede Halle hat andere Stärken – und Schwächen. Die richtige Lautstärke, die Abstimmung der Instrumente, der einzelnen Stimmen zueinander ist oft eine stundenlange Prozedur. Gehen die Stimmen unter, ist das Klavier zu laut oder falsch im Ton, passt die Perkussion, hört man das Cello – ganz davon abgesehen, müssen sich auch die Sänger und Musiker jeden Abend „neu finden“. Und oft genug werden noch kleine Details ausgearbeitet. So reift das Programm immer weiter, auch während der Tour. Trotz anfangs kleiner technischer Probleme im Theatersaal in Stuttgart findet sich auch hier alles zum Besten. Das kraftvolle Vai kommt besonders gut an. Es hat einfach eine suuuuper Ausstrahlung mit Bonganis reicher tiefer Stimme im Solopart. Die Geige wird zum Cello, ein verhaltener Griff in die Gitarrensaiten, Maurice und Stéphane haben viel Spaß und funkeln stumm mit ihren Blicken hinten am Bühnenrand, grooven ein bisschen. Eine mitreißende Nummer, dafür gibt’s riesigen mit Füßen gestampften Applaus! Ein tolles Konzert, ein tolles Publikum, sing- und klatschfreudige Mitspieler der langen Schlusszeremonie. Das Konzert im Frankfurter Hof in Mainz ist allein schon wegen dieses schönen Saales etwas Besonderes. Ein edler gediegener, fast sogar ein bisschen vornehmer Rahmen. Dieses Konzert hat mich am meisten beeindruckt während dieser kleinen Tour. Es ist mehr als ausgebucht, die Mitarbeiter müssen sogar noch zusätzlich Stühle aufstellen. So haben die Zuhörer in der ersten Reihe unmittelbaren Bühnenkontakt. Das wirkt sich irgendwie positiv aus, eine besondere Note liegt in der Luft. Lediglich die Rückkopplung zu Beginn war unangenehm – kann ja mal passieren. Später im Foyer schnappte ich in einem Gespräch das Wort „Intimität“ auf. Mir ist diese hinreißende Deutschstunde in Erinnerung. JF hatte in Kim eine geduldige Lehrerin für seine ersten Lektionen Deutsch. Sie haben dafür ein bezauberndes Kinderbuch gewählt. So kommen ihm die ersten Sätze der Geschichte des kleinen Drachens wirklich sehr gut über die Lippen. „Bin ich schon wach, oder träume ich?“ Große Heiterkeit natürlich im Publikum. Was für eine schöne Geste. JF, der alle Sprachen der Welt als wichtiges Kulturgut betrachtet, hat sich Zeit genommen und die Mühe gemacht, ein paar Sätze Deutsch zu lernen. Und es klingt wirklich gut. Er ist halt auch ein Sprachtalent. Und ein Charmeur natürlich, als er Kim mit Handkuss und herzlicher Umarmung sein Dankeschön beweist. Wie überall wird es mit viel Heiterkeit und Sympathie aufgenommen. Es kommt wirklich gut an und die Zuhörer belohnen es großzügig. Diese schöne Geste von Achtung und Wertschätzung wird in jedem Land verstanden, wenn ein Gast ein paar Worte in der Sprache des Gastlandes spricht. JF Ott bekommt einen freundlichen Applaus, als er die
Bühne betritt. Maestro Achim Meier an den schwarzen und weißen Tasten lacht und
erfreut uns mit manch überraschendem Geniestreich. Er scheint heute ganz
besonders be-Flügel-t! Seine Pianotöne funkeln um die Wette mit den großen
Kronleuchtern an der Decke! Nicht nur den Flügel, auch den elektronischen Zauberkasten
beherrscht er meisterlich. Für Quandu sentera und Un ti ne scurda, Di quale si
l’amore und Vai und trägt er gekonnt dick auf. Agnus Dei zu Fünft, wie ein Gebet in Musik, Terra, A te
Corsica, diese immer gültigen, tief verwurzelten
Musikstücke, die gerade in ihrer Einfachheit unbestechlich sind, ernten immer
einen besonders langen Applaus. Und oft habe ich das Gefühl, Alains Stimme
strahlt noch ein bisschen mehr. Die Live-Music-Hall
in Köln ist nun wirklich keine besonders schöne
Location, noch dazu bestuhlt mit Bierzeltbänken!! Einmal mehr bin ich erstaunt,
wie scheinbar leicht es gelingt, eine kalte unschöne Musikhalle mit null
Atmosphäre allein mit dieser Musik in eine warme Stube zu verwandeln. Das
kleine Wunder gelingt. Mit ihren Gesängen und Arrangements schaffen
I Muvrni es einfach immer wieder. Auch in kleiner Besetzung, in der die
Polyphonien und die Piano/Gitarrenstücke die Schwerpunkte bilden. Das Publikum
klatscht sich schon mal ein, bevor es überhaupt losgeht! Ein bisschen Wehmut macht sich breit. Heute Abend werden wir uns verabschieden. Ein letztes Mal hörte ich Kim lesen „Ich habe Brot für Sie gekauft“. Und ich? Ich sehe mich nach diesem letzten Konzert wie im Türrahmen stehen, den Musikern ein bisschen wehmütig hinterher schauend, nachdem ich mich vorher unseres Wiedersehens vergewissert habe, auch wenn es nur in Gedanken ist. Ganz wie in der Eingangsgeschichte aus JF’s „Carnet pour Sarah“ von Kim erzählt. Daran erkennen Inselbewohner ihre Kinder: sie verabschieden sich nicht voneinander, ohne das Datum ihrer Rückkehr anzugeben. So ein bisschen sind wir ja auch Inselkinder geworden. |