Music! Maestro! Please!

Mein Briefing hatte ich durch die Gästebucheinträge auf der NOP-Website, aber ich war eher skeptisch, ob mir dieses Crossover von Klassik im modernen leichtfüßigen Gewand arrangiert und interpretiert und Rock/Pop gefallen würde. Da soll für jeden etwas dabei und jedem Recht sein. Andererseits – so viele beigeisterte Menschen werden nicht lügen. Auf jeden Fall bildet Frankfurts Gudd Stubb mit dem beleuchteten Kuppeldach und den kühn geschwungenen Rängen eine tolle Kulisse. Das Haus ist selbstredend ausverkauft. Letzte NOP dieser Tour. Na, dann mal los! Auf der großen Leinwand tanzen flammende Instrumente, da saugt ein Gitarrenkoffer den wabernden Nebel auf. Tolle Idee, tolle Effekte – wenn das mal kein gutes Omen ist!

Mit einem Hitpotpourri aus der Welt der Klassik eröffnet das Orchester „Il Novecento“ unter Robert Groslot das Programm. Mitsingen erlaubt und erwünscht. Dabei sorgt der farbenfrohe Chor „Fine Fleur“ hinten in der Tiefe der Bühne nicht nur für einen guten stimmlichen Hintergrund, im Laufe des Abends wechseln die Choristen mehrmals das Outfit und haben ganz offensichtlich jede Menge Spaß. Kommt gut rüber.

Uwe Bahn ist der Gastgeber der heutigen Show und schon ein alter Hase bei der NOP. Er verbindet die einzelnen Programmpunkte und animiert das Publikum immer wieder zum Mitmachen und Skandierung des Proms!-Motto: Maestro! Music! Please! Damit geht alles glatt im Getriebe der NOP.

Ich sitze weit hinten gegenüber der Bühne. Die Akteure auf der Bühne sind zwar zwergenhaft klein, aber dafür habe ich die tanzende, wogende tosende Halle vor mir. Und das ist wirklich sehr sehr beeindruckend. Unserer korsischen Freunde I Muvrini wegen bin ich hier. So wie fast jeder vielleicht „wegen“ jemandem hier ist – oder wegen allen – weil es einfach ein riesiges Spektakel ist. Jean-Francois, Alain und Stéphane  sind gleich nach dem Eröffnungsspektakel dran und ich bin sehr gespannt, wie ihre Musik hier ankommen wird. Ihre Polyphonie „Agnus Dei“ könnte vor so einer Kulisse etwas „fremd“ wirken, aber im Laufe des Abends lerne ich noch mehr dieser „Fremdheiten“ kennen. Und das ist ein Teil des Erfolges der NOP. Jedenfalls schaffen I Muvrini  es spielend leicht, die Menschen zu begeistern und den Bogen von Pop und Klassik zu bereichern. So eine Kulisse ist ihnen ja nicht fremd und ich wünsche ihnen, dass es ihnen gelingt, bald auch in Deutschland in dieser Größenordnung zu touren. Ihr zweiter Titel Per Amore wird ordentlich mit Orchester und Chor aufgepeppt und –gepoppt. Was in meinem Ohren zunächst noch befremdlich ankommt, empfinde ich in kürzester Zeit sehr gelungen. Der Spagat glückt hervorragend. Und natürlich gehört wie kein anderes Lied ihr A voce rivolta hierher, wie kein anderes ist es geeignet, bis in die obersten Ränge die Menschen singen zu lassen. Aus vollem Halse – a voce rivolta eben. Jean-Francois ist in seinem Element, er begeistert einfach alle. Das ist einfach sein Ding, seine überschäumende Freude strahlt bis hinauf auf den 2. Rang. Neben dem Hausorchester werden sie außerdem von einem Dudelsack und vom Akkordeon begleitet. Dadurch bleibt der typische Charakter der IM-Songs hörbar erhalten. Alain und Stéphane haben an diesem Spektakel mindestens ebenso viel Spaß wie jeder hier im ausverkauften Haus. Bei ihnen besonders ist mir der Sound etwas schrill, die Wärme in den Tönen fehlt irgendwie, dadurch geht etwas verloren. Trotzdem habe ich Gänsehaut vor Freude und Bewunderung und bin angenehm überrascht. John Miles, der alte Recke und Urgestein der NOP ist dran. Dass es ausgerechnet der Santana-Titel Smooth sein muss, kann ich nicht so ganz nachvollziehen – ist ne tolle Nummer, aber hatte er nichts Eigenes? Aber vielleicht ist auch das NOP? Cross-over untereinander. Warum man ausgerechnet Roby Lakatos daran anschließen lässt, ist noch ein Rätsel. Seine Interpretation des Themas von Schindlers Liste ist ein derber Bruch. Für meinen Geschmack zu kitschig und die Gänsehaut schulde ich nur der Erinnerung an eine Aufführung mit Text von Danny Dczuk, wo diese unerträgliche Spannung des Themas besser eingefangen wurde. Geschmacksache. Nichts desto trotz: Lakatos bringt ungarisches Blut und Feuer in die Festhalle, macht seinem Ruf als Teufelsgeiger alle Ehre, das ist höchste Kunst, was er uns zu Ohren bringt und das erste Mal bebt die Festhalle.

Vor der Pause kommen mit Soulsister die ersten quasi Headliner auf die Bühne und was die beiden Herren – muss einem ja auch erstmal einfallen, das weibliche Geschlecht im Bandnamen zu führen – da treiben ist allererste Sahne. Die Songs kenne ich alle, hatte aber bisher keinen Bandnamen dafür. Mea culpa. Krachende Gitarren, mit dem großen Orchester hintendran aufgemischt klingt es richtig fett, satt und üppig. The way to your heart ist dann für alle die große Wiedererkennungsparty in gleißendem Licht und das zweite Beben vor der Pause. 

Also bis jetzt gibt’s nix zu meckern, außer dass es mir definitiv zu laut ist – selbst hier hinten. Das stört meinen akustischen Gesamteindruck ein bisschen. Ansonsten stimmt’s mit dem Sound, kein gefürchteter Klangbrei klebt die Musiker zusammen oder verklebt die Ohren.

Als alle wieder an ihren Plätzen sind, bekommen wir wahrlich ein Musik- und Bildspektakel geboten. Die Musik von Pirates of the Caribbean ist ein gewaltiges Epos mit ebenso gewaltigen Bildern. Auch Geschmacksache. Special Effect-Hascherei. Entbehrlich, aber die Musik ist ne Wucht. Der nächste Künstler wird zu Recht als Legende der Popmusik angekündigt. DIE Stimme von Mike an the Mechanics und auch als Solokünstler ein verlässlicher Hitlieferant. Paul Carrack, unverkennbar mit dunkler Sonnenbrille und Käppchen, gibt sich die Ehre. Ihr freue mich, ihn endlich mal live zu erleben. Silent Running, How long, Another cup of Coffee sind echte Ohrwürmer und fast schon Evergreens, keine Frage! Dass das Publikum da Nachhilfe benötigt, kann ich gar nicht verstehen. Umso schöner dann The living years. Aber ich empfinde es als etwas zu bombastisch, doch bei der NOP gehört das wohl so. Ist auch Geschmacksache. Sein letzter Song Over my shoulder löst das dritte Hallenbeben aus!

Roby Lakatos ist  noch mal dran, mit einem tausendfachen EY! Geht’s los. Schnell ist er, so schnell kannste nicht gucken und kaum hören und da ist das vierte Hallenbeben und Lichtermeer!

Uwe Bahn sagt es: manche Duos im diesem Business sind entbehrlich, andere wiederum sollte es erst gar nicht geben. Dieses hat sich auf der Tour gefunden und ist eine echte Überraschung: Paul Michiels und Jean-Francois Bernardini performen Stings Klassiker Fields of Gold – Terra d’oru. Inzwischen auch ein IM-Klassiker. Die beiden Stimmen harmonieren wunderbar, die beiden Männer geben ein verdammt gutes Bild ab, die Fotos des Abends sind der Beweis. Da tobt die Halle, singt mit und JF will gar nicht wieder von der Bühne.

Dann endlich kommt das ultimative Masterpeace John Miles’, auf die Bühne. Mit seinem Electric Orchestra zelebriert er mit viel Bombast Music (was my first love). Die Festhalle ist in ein Lichtermeer getaucht, das Bild, das sich mir von hier bietet, ist einfach überwältigend. Ein Highlight! „My NOP pulls me through“ singt er….

Wer oder was kann das noch toppen? Wie kriegt man die Überleitung zu PUR hin? Das NOP-Orchester löst die schwierige Aufgabe souverän, nach kollektiver Aufforderung standesgemäß MMP lassen sie noch einmal die Funken fliegen. Das Orchester hat den typischen NOP-Stil kreiert, locker und beschwingt, mit ein bisschen Schwere und Bombast, aber durchweg luftig und leicht. Lets have some fun! Kein Event löst dermaßen Glückgefühle, Energie und Begeisterung aus.

PUR starten mit Abenteuerland zusammen mit John Miles – das muss nun wirklich nicht sein. Trotzdem ein Lichtermeer, die PURisten sind eindeutig begeistert. Ein großes Medley aller Hits wird abgefackelt, das ist ihr Trumpf aus früheren Zeiten, damit kriegen sie die Festhalle links gedreht. Hartmut Engler und Band machen Budenzauber, sahnen richtig ab. Aber wenn da im Hintergrund nicht ein riesiges Orchester und der Chor wären, wäre das ziemlich dünn.

Das große Finale zieht auf. Es beginnt mit der unverwüstlichen NOP-Hymne: Land of Hope an Glory ist eine ausgedehnte Huldigung an die NOP und ein Dank der Zuschauer für die diesjährige Show. Jetzt kommen nach und nach alle Akteure des Abends auf die Bühne und zelebrieren einen weiteren Klassiker, der wie kein anderer dazu geeignet ist, das Ende der Show in weite Ferne rücken zu lassen. Hey Jude, wenn nicht hier, wo dann bitte die Beatles hochleben lassen. Die Bühne ist hell erleuchtet, die strahlenden Gesichter der Musiker tun ihr übriges, es ist ein überschäumendes Fest und ein Demonstration von guter Laune und guter Stimmung. Die Tour hat Musiker ganz unterschiedlicher Richtungen zusammengebracht und man sieht, dass es allen viel Spaß gemacht hat. Wenn man sie gelassen hätte, würden sie immer noch singen… Jean-Francois sieht aus, als wolle er hier und jetzt persönlich die Festhalle erstürmen. Er wird es ein andermal tun, da bin ich mir sicher!

Christel Amberg-Wiegand für www.muvrini.info

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