Kleine Konzertreise nach Rottweil und Zürich am 08.05.2004 und 10.05.2004

Fortsetzung:

Zum zweiten Mal haben wir in Rottweil die Gelegenheit, I Muvrini mit dem Pulifunie-Programm zu hören. Die Stallhalle als Veranstaltungsort des Jazzfest Rottweil scheint zunächst zwar befremdlich für ein solches Programm, ist aber eine ganz hervorragende Lokation. Es hat eine überaus freundliche gemütliche Atmosphäre dort, viele gute Geister sorgen für einen reibungslosen Ablauf, haben für Essen und Trinken in der Stallhalle und im Club gesorgt, mit Kerzen und kleinem Blumenschmuck einen schönen Rahmen für die Konzerte geschaffen. Großes Lob an den Veranstalter!

Im Volkshaus Zürich spielen sie im Theatersaal, einem klassischen Konzertsaal mit schöner alter Holzdecke mit Ornamenten. Ich habe den Eindruck, dass der Sound in Rottweil etwas ausgeglichener war, obwohl es ja hier ein Veranstaltungsort mit sicher entsprechenden Möglichkeiten ist. Diese Musik verlangt allerdings auch sehr viel Know-how und fordert den Hallenakustikern sicher einiges ab. Jede Halle hat ja so ihre Spezialitäten. Der ausgiebige Soundcheck hat sich gelohnt, I Muvrini liefern ein absolut bemerkenswertes Konzert ab.

Das Programm wurde nach dem ersten Polyphonie-Konzert in Frankfurt geändert und gestrafft. Es ist dadurch lebendiger und abwechslungsreicher geworden. Den strengen Polyphonien stehen die wunderschön getragenen Lieder an Piano und Gitarre entgegen, Alain kommt jetzt oft als zweite Gesangsstimme dazu und macht dann zusammen mit Stéphane und/oder dem Chor der anderen Sänger etwas ganz Neues draus. Das tut dem Programm ausgesprochen gut. Es hat dadurch genau die richtige Mischung. Jedes Stück ist ein kleines Juwel. "Wenn wir die Musik auf dekorative Äußerlichkeiten reduzieren, nehmen wir ihr das Wesentliche und verweigern ihr die Existenz." (Jean-Francois Bernardini, Umani). Musik ist soviel mehr als nur die Aneinanderreihung von einzelnen Tönen, davon gibt es nur acht. Von diesem Mehr haben wir bei diesen beiden Konzerten ganz viel spüren können. Wir nehmen es tief im Herzen mit.

I Muvrini eröffnen mit vier Titeln aus der aktuellen CD "Pulifunie" das Programm. In warmes rotes Licht getaucht bilden sie den typischen Halbkreis am Mikrophon. Der erste Ton erklingt und wir sind sofort gefangen. Die Stimmen fließen, sie füllen den Raum. Eine Stimmung von Ruhe und gleichzeitig Anspannung und Erwartung. Ein angenehmes Gefühl wie Seide auf der Haut. "Salve Sancta Parens" wird von Jean-Francois angeführt, Alain folgt mit seinem hellen Tenor und die anderen Sänger bilden mit ihren klaren reinen Stimmen das Fundament und den Rahmen. Da ist soviel Wärme, Seele, Gefühl, aber auch Kraft und Stärke in diesem Stimmen. Die "terza" beeindruckt mich heute ganz besonders. Manches Mal ist es auch der "bassu", der mir einen angenehmen Schauer über den Rücken jagt.

Neben der Musik sind auch immer die Texte von Jean-Francois Bernardini ein fester Bestandteil des Programms. Es sind Geschichten, die von seiner tiefen Liebe zu Korsika erzählen. Von der leidvollen Geschichte, in der Menschen gedemütigt wurden, weil man ihnen die Sprache, die Kultur weggenommen hat, von Menschen und ihren Schicksalen und von Begebenheiten, die prägend waren auf seinem Weg und dem vieler anderer. Kim liest den Text "Être Corse", der viele Antworten anbietet auf die Frage, was es bedeute, „Korse zu sein. ".... sein Land zu lieben, bedeute die Kinder zu lieben und zu fördern in der Schule des Herzens, des Gewissens, der Gesten, der Bücher, der Freiheit und des Lebens." Begleitet von Jean-Francois Ott am Cello findet Kim genau den richtigen Ton und das Tempo für diese Worte. Sie macht das einfach wunderbar. Ich freue mich immer auf diesen Teil des Programms. So kann ich noch auf eine andere Art teilhaben an den Worten, Gedanken, Bildern und verstehe vieles besser. Diese Text zu hören ist viel intensiver als sie nur selbst zu lesen. Durch das Hören werden Brücken geschlagen. Mit einem weiteren Text <Lettre à mon frère> "Weißt Du, ich bin ein bisschen wie Du", kommt Kim noch einmal auf die Bühne. Es gebe viele Wege, sich gegen Ungerechtigkeit, Demütigung und Erniedrigung zu wehren. Wenn andere nicht hinsehen, sich wegdrehen, die Faust ballen oder mit Gewalt kämpfen.... er selbst (GF Bernardini) glaube immer an die Kraft des Schönen, dass die Kraft der rechten Worte etwas bewegen, etwas bewirken können. Wenn doch nur mehr Menschen auf der Welt diesen Glauben hätten.....

Die Sänger formieren sich ein weiteres Mal für das „Agnus Die“, das Achim am Keyboard so toll begleitet. Er ist einfach unglaublich, in Rottweil war seine Begleitung schon unbeschreiblich, in Zürich legt er noch was drauf. Es ist, als schwebe gerade ein Engel durch den Raum.....

Den Wunsch zu singen von ihrem kleinen Teil der Erde verbinde sie mit allen Menschen dieser Erde. Er habe den Traum, .....dass er nicht seine Seele verliert. Ein Traum zu leben. Jeder im Publikum wird seinen Traum haben..... „Un sognu pè campa“, eines meiner Lieblingsstücke, das mich bei meinem ersten Konzert so sehr beeindruckt hat, dass ich jedesmal wenn ich es höre, hypnotisiert bin und mich auflöse und sich dieser Traum zumindest für mich in diesem Moment erfüllt. Die Sänger kommen wieder mit auf die Bühne und Alain verleiht dem „Rève“ mit seiner Stimme Kraft und Stärke. Achim trägt dieses Lied ganz zart und vorsichtig, als sei der Traum zerbrechlich. "Un sò micca venuti" und "Ci teneremu caru" beide so intensiv.... mit zarter Begleitung am Cello und am Flügel. Auch "Lode de u sepolcru" mit Jean-Francois' tiefer Bassstimme zu Beginn, die mich immer so erschauern lässt..... Gänsehaut!

In Zürich passiert es ganz oft, dass das Publikum noch ganz gefangen ist in der Wirkung eines Liedes. Eine kleine Stille am Ende, wo sich niemand traut, die Stimmung durch Applaus kaputt zu machen, wird erst nach einer kleinen Dankesgeste von der Bühne aufgehoben. Diese kleinen Momente kommen mir vor wie ein Vakuum, das sich durch den beigeisterten Applaus wieder füllt.

Natürlich gehören auch Liebeslieder zu Korsika wie überall auf der Welt. Doch mit der Liebe sei es nicht immer so einfach auf Korsika, erzählt uns Jean-Francois, schließlich sei man eine Insel, es gebe krumme gefährliche Straßen, das Gebirge, das Meer, manchmal braucht es ein Boot....es seien immer lange Geschichten und eigentlich müsste so ein Liebeslied 36 Strophen haben und über drei Stunden gehen.... große Erheiterung natürlich im Publikum. Das Ende einer Liebe erzählt uns "Di", Gänsehaut, Luft anhalten, kein Geräusch, einfach nur hören und fühlen.

Für dieses Programm wurden die Lieder alle ein wenig neu arrangiert. Jean-Francois begleitet sich wie immer auf der Gitarre, man braucht nur in sein Gesicht zu schauen und sieht ganz deutlich, wie  sehr er sich uns öffnet und seine Musik mit uns teilen möchte. Achim am Flügel oder am Synth ist eine absolute Bereicherung. Die Sänger begleiten gemeinsam, manchmal auch Stéphane und Alain wie zu „Diteli“. Vom Keyboard kommt ein bisschen Rhythmus dazu, was dem Lied überaus gut steht und die verhaltene Stimmung wieder auflockert.

Ein langes wunderschönes Intro folgt und nimmt uns mit zu "A Morte di Filicone" und dann kommt Kim ein weiteres Mal auf die Bühne. "Morgen werde ich Korsika verlassen" - begleitet auf dem Cello von der zarten Melodie "Guten Abend, gute Nacht" und von Achim am Flügel, der kleine Tonperlen hinein streut, erzählt sie uns von einer Frau, die am nächsten Morgen Korsika mit Kummer im Herzen verlassen wird, davon, was sie mitnimmt an Kraft und Liebe für die Zukunft, was sie gelernt hat und niemals vergessen wird. „A Strada“ – haben wir schon lange nicht mehr gehört, es passt jetzt genau hierher und nimmt das Thema nochmal musikalisch auf.

Noch einmal kommen alle sieben Sänger nach total begeisterndem Applaus auf die Bühne. sie verbeugen sich, freuen sich und strahlen. Wieder ist es ihnen gelungen, uns in ihren Bann zu ziehen, ein Stück Weg gemeinsam zu gehen, und ihre Lieder mit uns zu teilen, damit wir sie nicht vergessen. Nein, das werden wir ganz sicher nicht. Ich bin sicher, mit diesen beiden Konzerten haben I Muvrini wieder viele Freunde gefunden und Herzen erreicht.

Es ist mir diesmal ganz besonders wichtig, den Mann an den schwarzen und weißen Tasten zu erwähnen. Schon in Frankfurt bei der Aufzeichnung für den HR war er dabei und hat mich mit seinem Spiel total begeistert, weil er jedes Stück so dezent zart und fein, fast zerbrechlich, begleitet hat. Dabei hatte er nur ganz wenig Zeit für Proben. Mit diesem neuen geänderten Programm hat er ganz viel Raum bekommen, diese Stücke zu interpretieren. Man spürt, wie sehr er sich auf jeden Titel eingelassen hat. Am Flügel, am Synth - IM haben ihm viel Freiheit gelassenen, sich darin auszubreiten. Wunderbar nimmt er die besondere Stimmung eines Liedes auf, dabei überrascht er uns ein ums andere Mal mit witzigen Einfällen, Schlussakkorden und ausgedehnten Intros. Da sind die kleinen hellen Töne am Ende eines Liedes, oder der tiefe Schlussakkord, ein überraschender Fingerlauf über die Tasten.....mit einem spitzbübischen Lächeln auf dem Gesicht, wohl wissend, dass er uns jetzt gerade wieder in die Welt zurück gezaubert hat. Perfektes timing, absolute Harmonie, Übereinstimmung mit der Musik. Nie zu viel, niemals überfrachtet er es, sondern schmückt oder nimmt sich heraus da, wo es passt und überlässt dem Gesang die Wirkung. Ich bin sicher, Achim Meier hat viele begeistert und beeindruckt.

I Muvrini lassen die korsische Tradition der Polyphonien wieder aufleben, pflegen sie in ihren Konzerten. Das ist ein Teil ihrer eigenen Identität. Es ist auch ein Teil ihres musikalischen Bildes nach draußen. Nein, das ist nicht "die Band," antwortete ich auf eine entsprechende Frage, das sind die Stimmen der Polyphonie. Wenn I Muvrini mit Band auf der Bühne sind, gibt es E-Gitarren und Bass, Schlagzeug und Keyboard, natürlich auch die Stimmen und vor allem Pipes, Dudelsack, Cetera und die Drehleier. Beides – Pulifunie und Band - steht gleichberechtigt nebeneinander.

In Zürich hören wir sogar zum ersten Mal ein Lied für die neue CD. Wunderschön – es weckt Neugier auf mehr. An beiden Abenden fordern wir lautstark Zugaben, die wir natürlich bekommen. Strahlende glückliche Gesichter, alle kommen gemeinsam auf die Bühne um sich zu verabschieden. In Zürich wird Achim in den Kreis der Sänger für ein letztes Lied aufgenommen, bevor I Muvrini sich endgültig verabschieden.