26. Juli 2004

 

Danke an die Badische Zeitung und Michael Baas, die uns diesen Artikel freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben


Seelensucher aus dem Westen von Michael Baas

STIMMEN II: Korsisches Sendungsbewusstsein und bretonische Trance - I Muvrini und Denez Prigent im Rosenfelspark

LÖRRACH. "Unsere Musik und unsere Kreationen werden von dem Bedürfnis getragen, unsere Seele nicht zu verlieren, das heißt uns nicht innerhalb der oberflächlichen Weltbürger zu verlieren, die von Flughafen zu Flughafen reisen, mit Kreditkarten in der Tasche, von einem Schnappschuss zum anderen", schilderte Jean-Francois Bernardini im März in der Zeitung Ouest France kurz vor der "Nuit Celtique" in Paris. In der Tat: Nichts liegt dem korsischen Ensemble um die Bernardini-Brüder ferner als der seichte und geschichtsblinde Amüsierbetrieb der Gegenwart.

"I Muvrini" - vor einigen Jahren auf dem Marktplatz schon einmal Gast der "Stimmen" - und vor 25 Jahren so etwas wie der Botschafter einer korsischen Identität sind nach wie vor einem starken Sendungsbewusstsein beseelt. Die Botschaften aber haben sich gewandelt. Ende der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhundert in der korsischen Emanzipationsbewegung gegründet, dient(e) der Gesang zunächst vor allem der kulturellen Selbstbehauptung Korsikas, war auch politisches Statement. Inzwischen hat das Ensemble dieses Korsett gelockert, zeigt Vielfalt, verbindet die Folklore längst mit Elementen der Welt- und der Popmusik und feierte mit dem 2002 erschienenen Album "Umani" in Frankreich große Erfolge. Die Wildschafe, wie "I Muvrini" übersetzt heißt, haben sich die politischen Hörner abgestoßen, sind kritische Begleiter der modernen Zivilisation insgesamt geworden.

Auch das Rosenfelskonzert zeigte zumindest zwei Gesichter: Das eine gruppiert sieben Männer fast verschwörerisch um ein Mikrofon. Sie singen die Paghellas. jene A-Cappella vorgetragenen korsischen Polyphonien, die meist sakrale Inhalte transportieren und eine archaische Kraft und Schönheit ausstrahlen. Im "zweiten Gesicht" schlüpft Jean-Francois Bernardini in die Rolle eines Chansoniers, singt begleitet vom deutschstämmigen Pianisten Achim Meier, - mitunter - seinem Bruder Alain und mit (s)einer Gitarre, wenn die denn einsatzfähig ist, was nicht immer der Fall war, hymnische Lieder oder erzählt Geschichten wie die vom Brunnenbauer ("Le Fontainier"), der vermittelt, dass "das Leben wie Wasser ist. Forme eine hohle Hand und du behältst es, balle sie zur Faust und du verlierst es": Philosophisch aufgeladen und mit weicher, sanfter Stimme umschmeichelt Bernardini gefühlvoll die Seelen und schlägt das Publikum damit in den Bann.

Eine ebenso einnehmende und doch völlig anders verpackte Seelensuche praktizieren auch Denez Prigent und seine Band. Der Bretone, 1960 geboren und für Helmut Bürgel seit dem ersten Stimmenfestival schon ein Wunschkandidat, wie er verriet, verkörpert die junge Generation bretonischer Musiker. Unter dem Strich heißt das Neuerungen statt Purismus. Entsprechend verknüpft Prigent die traditionell A-Capella vorgetragenen Gwerz-Gesänge nicht nur mit Instrumenten wie der Bombarde, eine Art verkürzte Oboe, dem Dudelsack oder einer elektrisch verstärkten und verzerrten Drehleier, auf der Valentin Clastrier ein faszinierendes Solo hinlegte, sondern nutzt auch elektronische Mittel und unterlegt den Gwerz mit synthetischen Techno-Schnipseln: ein Barde im digitalen Zeitalter.

Schwarz gekleidet, wie ein Nachgeborener der Existenzialisten um Sartre vor 50 Jahren, wirkt Prigent auf der Bühne seltsam verhalten und bleibt auch in den Gesten zurückhaltend, fast unbeholfen. Um so bewegender aber sind die Lieder: Das Programm, das sich stark anlehnte an die beeindruckende (in Deutschland nicht im Handel erhältliche) schon 2001 beim Festival Interceltique in Lorient aufgenommene Live-CD "Holl a-gevret", pendelt zwischen melancholischen Balladen, tieftraurigen Klageliedern und fröhlichen Tänzen, die eine Hand voll Unentwegter im etwas zurückhaltenden Publikum immer wieder zu den typischen bretonischen Reihen- und Ringeltänzen animierte.

Gleichwertig neben Prigents-Gesang stehen die Bombardes (David Pasquet) und der Dudelsack (Mickael Cozien). Sie runden das Klangbild ab, vertiefen das emotionale Spektrum von herzzerreißender Verzweiflung bis zu himmelhoch jauchzenden Freude, von der Last an allen Lasten dieser Welt bis zur Leichtigkeit des Seins, vom mühsam in Bahnen gehalten Wahnsinn, bis zum Wahnsinn emotionaler Entfesslung: Nicht zuletzt die hypnotische Bombarde und der trancehaft-mitreißende Dudelsack klingen lange nach in den Ohren und hinterlassen eine tiefe Spur: Ein Impuls eine neue Begegnung mit Denez Prigent und seiner Band zu suchen.

Michael Baas