Ghjuliu Bernardini schrieb diesen Titel zu Beginn der korsischen Erneuerungsbewegung der 70er Jahre. In seinem "Brief" richtet er sich an einen gleichgesinnten "Bruder", der 1974 in Gefangenschaft geriet, weil man ihn - irrtümlich - für den Anführer einer patriotischen Freiheitsbewegung hielt. Zum ersten Mal wurde in einem Lied so eindringlich und ausdrucksstark eine politische Stellungnahme abgegeben, woraus sich u.a. seine damalige große Popularität erklärt...

    LETTERA À FRATELLU

     

     

    Ti scrivu à tè, fratellu paisanu

    Per ditti quantu hè tristu lu me core,

    Ti manda assai suspiri è ti porgu la manu

    Ma dammi torna tù un segnu d'amore

    Voltati versu mè, t'aspettu, à lu veranu

    Ùn lascià più, fratellu, u tempu corre

    Avvicinati à mè, ùn stà luntanu

     

    Ùn dormu più tranquillu è spenseratu

    Quandu si chjode a porta di a prigiò

    Digià fratellu nostru hè imprigiunatu

    Per avè solu dettu è cun ragiò:

    "Vogliu stà in terra corsa, inde sò natu

    È per fà piazza à l'altri ùn mi ne vò

    Chì vive è more corsu, mi sò ghjuratu!"

     

    Avveniti a dulcezza di a nostra mamma

    È lu so core sempre in alegria

    Oghje di tanti strazi ella si lagna

    Elli dicenu: "Amme è cusi sia!"

    Tù ùn poi lascialla more cum'è una cagna

    Falla per cumpassione, torna una cria

    Chì per l'ultima volta ella ti chjama

     

    Ma s'è t'ùn faci prumessa. è quì ùn ritorni

    Ùn sunerá chè dolu u campanone

    Ùn viderai mai più fumà i forni

    A panca serà nuda, spintu u fucone

    Truverai strangeri in li cuntorni

    È senza fiori in manu ma lu bastone

    Pensu ch'è averai capitu i me frastorni

    Text und Musik: Ghjuliu Bernardini

    BRIEF AN EINEN BRUDER

     

     

    Mein korsischer Bruder, ich schreibe dir

    Um dir zu sagen, wie traurig ich bin

    Ich leide mit dir und reiche dir die Hand

    Bitte schicke auch du mir ein Zeichen unserer Verbundenheit

    Komm zu mir zurück, ich erwarte dich im Frühling

    Lass nicht noch mehr Zeit verstreichen, mein Bruder

    Komm so schnell es geht zu mir zurück

     

    Ich bin voller Unruhe, finde keinen Schlaf

    Nachdem die Gefängnistüre sich hinter dir geschlossen hat

    Zumal auch noch ein anderer unserer Brüder eingekerkert ist

    Nur weil er zu Recht verlauten ließ:

    „Ich möchte auf korsischer Erde bleiben, denn ich bin dort geboren

    Um anderen Platz zu machen, gehe ich nicht fort

    Ich lebe und sterbe als Korse, das habe ich mir geschworen!"

     

    Erinnere dich an die Sanftmut unserer Mutter

    An ihr stets fröhliches Gemüt

    Heute klagt sie über ihr großes Unglück

    Und man sagt ihr: „Nimm es hin wie das Amen, du kannst es nicht ändern!

    Du kannst sie nicht sterben lassen wie eine Hündin

    Hab Mitleid mit ihr und wende dich ihr zu

    Da sie dich zum letzten Mal ruft

     

    Doch wenn du dein Versprechen nicht hältst und nicht zurückkommst

    Dann läuten nur noch die Glocken der Trauer

    Du wirst dein Zuhause nicht mehr sehen

    Die Bank bleibt leer, die Feuerstelle kalt

    Du wirst Fremden begegnen, sie besiedeln dein Land

    Und anstelle der Blumen ist ein Knüppel in ihrer Hand

    Ich denke, du kannst meine Sorgen verstehen