15. November 2005, ColosSaal Aschaffenburg

Fortsetzung:

Seine Musiker des Palermo-Acoustic-Quartetts spielen sich quer durch die gesamte Bandbreite der latainamerikanischen Musik, absolut stilsicher, ohne die Latin-Pop-Allüren der chartsgeilen Sommer-Sonne-Dolce-Vita Gesangskollegen. Natürlich beherrschen sie auch auch die italienische und die sizilianische Liederkunst meisterlich. Hinreißend, mitreißend, voller Temperament und keine Spur aufgesetzt. Voller Überraschungen.

Das Publikum darf heute sitzen, ganz ungewohnt im Colos-Saal. Doch das erzwingt fast die Aufmerksamkeit, die sonst vielleicht verloren ginge. Pippo erzählt heute wenig, er überlässt sich ganz der Musik. Und die kommt hundertprozentig an. Antonellos flinke Finger fliegen nur so über die Tasten seines Akkordeons und des Keyboards, da wird es mir schon beim Hingucken schwindelig. Klar gibt es dafür Szenenapplaus, schon beim zweiten Titel ist das Publikum gewonnen. Pippo ist in vielen Sprachen zu Hause. So überrascht er mit deutschen Titeln, singt englisch und hat "Amsterdam" für eine überwältigenden Version in seine Muttersprache transportiert. Er reist mit seinem Quartett musikalisch um die Welt. So international, wie die Gäste der Bar Casablanca. Oder dem Mann am Piano dort "Pianista di Montevideo". Der von zu Hause weggegangen ist, um in "der anderen Welt" sein Glück zu finden. Und sich immer wieder mit seinen Gedanken, seinem Körper und seinem Geist zurückfindet, wenn er einsam und verlassen mit seiner Musik kaum wahrgenommen seine Abende in der Hotelbar verbringt, um das wenige Geld zum Leben zu verdienen. Pippo erzählt von "Chiaramonte gulfi", einem kleinen Ort, wo es nicht viel Arbeit gibt. Wo die Männer Karten spielen und alles barock ist. Niemand kannte ihn dort, aber er besingt diese kleine Welt und verhilft ihr damit zu bescheidenem Ruhm. Die Einladung für ein Konzert dort hat er natürlich gern angenommen und natürlich sind alle auf die Piazza gekommen, um die flotte Polka und mehr zu hören.

Der erste Teil des Konzertes ist sehr intensiv, sehr intim beinahe. Fließende Akkorde, wunderbare Klangharmonien, Tango, romantisch und aufreizend fast. Immer wieder überraschen mich die Lieder, wenn sie fast verhalten beginnen und dann hinten raus richtig satt mächtig und stark werden. Eines der schönsten und eine eindringliche Liebeserklärung an seine Heimat: Terra. Italienische Liedermacherkunst mit Eleganz und Verve! Erdig und rau manchmal die Stimme, wo hat dieser Mann bloß die Stimmbänder her? Muss 'ne besondere Sorte sein, die ein bisschen Schmutz drauf erlauben und ein besonderes Timbre. Gerade nur so viel, um nicht kitschig zu sein. Unglaublich gut!

Nach der Pause geht’s gleich mächtig gut los, die Gitarre als Percussionsinstrument, Bass und Djembe mit der Hand geschlagen und gezupft. Jetzt hat das Programm Tempo. Antonello lässt die Finger fliegen, ein strammer Bass und die Drums dazu. Enzo an der Akustikgitarre mindestens genau so schnell unterwegs, sie scheinen sich förmlich gegenseitig anzutreiben und lassen sich Zeit und Raum für ihre Soli. So ein Kontrabass ist ja eh schon selten auf der Bühne zu sehen, aber was Luca damit macht, ist zudem außergewöhnlich. Bearbeitet mit den Drumsticks die dicken Saiten, lässt sie ordentlich schwingen und holt damit höchst ungewohnte Klänge aus seinem Instrument. Derweil kommt Toti an den Drums dazu. Zusammen gehen sie ein bisschen fliegen, bevor er sich zum einem fetten Drumsolo aufschwingt. Pippo lehnt sich derweil entspannt an der Seite zurück, bevor er wieder mit einsteigt. Dann ist auf einmal Schluss - aus vollem Tempo. Ende. Ups, das war jetzt aber ein heftiger Showdowner.

Natürlich kommen die Jungs noch einmal auf die Bühne. Pippo hat noch ein wunderbares Lied im Gepäck, das er vor über zwanzig Jahren komponiert hat und das jetzt nach langer Zeit wieder fliegen darf. "Welcome Home". Pippo hat sich inzwischen warm gespielt, stampft energisch mit dem Fuß und unterstreicht mit festem Tastenanschlag "La luna e i falò". Und zum Schluss bekommen wir noch ein ganz besonders schönes Highlight fast a cappella. Pippo einhändig am Piano dirigiert seinen Männerchor zu einem wohlklingenden Finale. Ciao ciao...

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de

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