31. März 2007, Kammgarn Kaiserslautern

Was für eine Nacht!

von Christel Amberg-Wiegand

Revoluzzer! Die Welt aufmischen. Den Saal aufmischen. Herzlich Willkommen, Konstantin Wecker und Jo Barnikel! Stürmischer Applaus begleitet die beiden auf die Bühne. Das war sicher nie anders, aber heute ist es der letzte Abend dieser gemeinsamen Tour. Sie nehmen Platz, gegenüber voneinander, vertrautes Bild, wie zum Duell bereit, zwei schelmische, verschmitzte Lachen wechseln die Besitzer und los geht’s. Jo packt die Schweineorgel aus, Konstantin einen herzhaften Rag. Und über den Börsianern kreiseln böse lästernd Jos Jahrmarktklänge.

Einen kleinen Moment hatte ich Sorge, Pippo würde gegen eine Wand spielen, nachdem Konstantin und Jo mit solch einer Wucht den Abend eröffneten. Wie konnte ich nur?! Der Begrüßungsapplaus ist mindestens ebenso herzlich und der Übergang beinahe fließend. Pippo hat einfach dort weitergemacht, hat die ganze Stimmung, die Atmosphäre, die Sympathie und den Schwung, einfach die geballte Energie mitgenommen und sein Ego dazu gestellt. Terra ist der gelungene Stabwechsel für Pippos und Enzos erste Runde. Immer noch die wenigsten können Italienisch, aber Pippo spürt auch so das „Italophile“ in der Dunkelheit. Mit italienischem Charme und Herzlichkeit nehmen die beiden das Publikum in ihre Arme. Sizilianische Verführung der schönsten Art.

Noch während Pippo Sonderapplaus einfährt dafür wie er wieder einmal schier vor Temperament berstend das Tamburine bearbeitet, mischen sich Konstantin und Jo wieder unters spielende Volk und wandeln nahtlos die Kraft des vorangegangenen Augenblicks in Magie. Was ich an dir mag…. Wie viele hundert Male mögen die beiden das Stück schon gespielt haben? An solchen Abenden entwickeln sich plötzlich Dinge anders, haben Lieder manchmal eine eigene Dynamik. Konstantin schlendert singend „was ich an dir mag ist das Geheimnis“ zu Jo hinüber und plötzlich verlachen sich die Beiden in der neuen Wahrheit dieser Worte und bringen es erst nach kurzer Pause zu Ende. Köstlich. Eine kleine Begebenheit, die einmal mehr die Nähe der beiden zueinander unterstreicht. Musik ist Gefühl. Jeder Ton und jedes Wort sind füreinander bestimmt und bei diesen beiden bedarf es beinahe keiner Worte. Sie versinken in ihren Liedern, lassen sich blind treiben, verlieren sich scheinbar im Rausch des Moments. Und da ist gar nichts Routine! Mit Hochachtung, Respekt, blindem Verständnis und grenzenlosem Vertrauen füreinander entstehen diese Sternstunden. Pippos und Enzos Peilung zueinander ist mindestens ebenso sensibel. Die beiden sind ähnlich seelenverwandt.

Da stehen also nicht zwei plus zwei Musiker auf der Bühne, die nacheinander ihr Programm spielen, sondern ein mal vier. Es ist nicht nur Annäherung oder Berührung, sie verschmelzen geradezu ineinander zu einem Klangkörper. Enzo und Jo verstehen sich blendend, die beiden haben ganz schnell ihre Antennen aufeinander ausgerichtet. Sie fliegen förmlich aufeinander zu und setzen jeder auf seine Art unverwechselbare Akzente. Sozusagen hinter oder neben der Musik gibt es untereinander eine Art stumme Kommunikation – Blicke, Gestik, Mimik sprechen Bände! An dieser Stelle ein dickes Lob an die Soundtechniker! Eine solche Fülle, ein solcher Raumklang, das Klangvolumen eines jeden Instruments und der Stimmen zueinander, alles war präzise eingepegelt und flutete den Saal, dem ich diese Akustik gar nicht zugetraut hätte.

Für solche Abende gäbe es Lieder in Hülle und Fülle. Würde man das Publikum fragen, hätte das Konzert Über-Überlänge. Es musste also eine Essenz Wecker/Pollina her. Eine Auswahl der schönsten Lieder, derer, die ganz tief im Herzen sind. Bei solch einem Repertoire keine leichte Aufgabe für Dramaturg und Zeremonienmeister. Heiter bis wolkig, Gewitter bis Sonnenschein, - alles ist dabei. Auch die ein oder andere Rarität. Mit drei Tastenkünstlern und zwei Gitarristen plus zwei Sänger und noch mal zwei im Background gibt es jede Menge Möglichkeiten, wer mit wem welchen Titel auf die Bühne bringt. Das ist Spaßkultur und Erlebnishören. Es ist eine Lust, die jungen und ewig jung gebliebenen Lieder jedes Mal wieder neu zu entdecken. Veredlung in Vollendung.

Gegensätze oder Gemeinsamkeiten? Gegensätze und Gemeinsamkeiten? Ich finde, beides stimmt. Mut, aufrecht stehen, sich nicht verbiegen lassen ist eine wichtige Gemeinsamkeit. So unterschiedliche Künstler Pippo und Konstantin auch sind, ist ihnen beiden eines wichtig: Augen und Ohren offen halten, kritische und unbequeme Fragen stellen. Geschichten über das Leben, die Liebe, die Menschen. Nicht die heile Welt, aber eine ehrliche. Sie können nicht die Welt verändern, aber wenigstens ein bisschen besser werden lassen. Und wenn schon nicht die ganze Welt, dann vielleicht die Welt eines Menschen. Ich finde, das ist eine ganze Menge! Konstantin und Pippo waren fast zeitgleich im Irak. Nach seiner Rückkehr schrieb Konstantin einen neuen Text zu „Sag nein“. Für ein paar Verse rutscht er in seinen ursprünglichen Text. Die Kernaussage bleibt: „Krieg ist überhaupt keine Möglichkeit für uns Menschen. Keine ultima Ratio, überhaupt keine Ratio.“ Sag nein! ist auch heute ein hundertfach stimmgewaltiges Bekenntnis. Ich bin aufgewühlt. So geballte Form Wecker/Pollina packt mich und schüttelt mich tüchtig durch. Aber es fühlt sich verdammt gut an!

Musik muss man auf jeden Fall fühlen, hören und dann – vielleicht - verstehen. Dreisprung – egal ob weckerisch oder pollinarisch für Leib und Seele. Konstantin war mit seiner Musik eigentlich immer da. Auf Pippo sind meine Ohren nach der Uferlos-Tour erst mit Zeitverzögerung und über den langen Um-Weg über die Schweiz gestoßen. Eigentlich zwangsläufig. Denn wenn man Konstantin zuhört, kann man bei Pippo nicht weghören. Heute Abend schließt sich der Kreis.

Die Besonderheit dieses Konzertes bekommt jetzt endlich auch ihr Lied: Mit Insieme läuten die Vier ein grandioses Finale ein. Als bräuchte es einer Bestätigung, dass sie alles richtig gemacht haben. Ein Fest. Ein Hochamt sondergleichen. Mit einer unglaublichen Dynamik treiben sie sich gegenseitig an und spielen sich in grenzenlose Sphären irgendwohin über allem. Dann natürlich Questa nuova Realtà!, der Beginn der gemeinsamen Reise. Wenn der Sommer nicht mehr weit ist, ein bisschen verjazzt, dann Vom Sinn, unerreicht, ergreifend, überwältigend, dann kommen Pippo und Enzo hinzu für Suotta la Rota, wandeln die Stimmung wieder kraftvoll um, bevor sie ganz leise und still werden. Schlendern, Pippo und Konstantin 1:1, zerbrechlich, fast lautlos schlendern sie dahin, verschmelzen, flanieren in der unerträglichen Leichtigkeit des Seins. Ihr aller Lied gegen die tägliche Überdosis unbestellter Musik ist ein Loblied auf die Stille des Augenblicks. Und ich bin sicher, dass alles nur aus dieser kostbaren Stille entstehen kann. Der Applaus kommt beinahe zu früh, ich hätte den Moment des letzten Tons gern noch ein wenig ausgekostet. Ich will noch gar nicht diese eigentümliche Leere in mir aufgeben. Es tut fast weh. Jetzt ist es vorbei. Das war der Schlussakkord. Das letzte Geschenk ist ausgepackt. Wie ein großes staunendes Kind mit leuchtenden Augen stehe ich vor der Bühne und freue mich einfach, dass ich bei diesem Highlight dabei sein kann! Das Saallicht hat längst die schlendrige Stimmung kaputt gemacht, doch das Publikum möchte diesen Abend noch nicht hergeben.

Tatsächlich. Diese Großherzigen! Diese Fleißigen! Solche Rituale dürfen gern länger dauern – also, ein letztes Mal sich feiern, ein letztes Mal dieses Gefühl genießen, im Herzen einschließen und bewahren. Alle Mann an die Tasten und Saiten, ein Extra für die besonderen Bemerkungen im Tourkalender und weil es so schön ist, Questa nuova Realtà. Ein wirklich schöner, irgendwie berauschender Abschluss. Für die Blumenkinder in der ersten Reihe die letzte Möglichkeit vor der Autobahn. Die vier Mannsbilder stehen wie die Orgelpfeifen am Bühnenrand und nehmen das ganze Huldigungsprogramm, welches das Publikum für solche Fälle vorsieht: Vollbad im Applaus, Pfeifen und Johlen - noch lange nachdem die Vier hinter dem Vorhang verschwunden sind. Die Freude des Moments überdeckt die kleine Wehmut des Finales. Was für ein Augenblick! Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist und sich die Freude aufeinander bewahren. Ich bin sicher, das haben sie, werden sie, tun sie.

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de

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