06. Dezember 2008 - Pippo Pollina & Swiss Connection Band in Konstanz

Bock auf Rock
von Christel Amberg-Wiegand

Lieber Pippo, was bin ich froh, dass du diese Rock’n Roll-Jacke angezogen hast! Und wie die dir passt! In diesem Jahr habe ich dich so vielseitig wie nie erlebt, und als du vor einiger Zeit so nebenher erwähntest, du hättest Bock auf Rock, hatte ich nicht die leiseste Ahnung, wie das bei dir klingen würde. Dem Himmel sei Dank, dass du diesen Plan ausgeheckt hast. Es würde mir gewaltig was fehlen und mein Musikerlebniskosmos wäre um einen Stern ärmer. Du bist Überzeugungstäter, Musiker mit Leib und Seele, weil das für dich die beste, die einzige Möglichkeit ist, dich auszudrücken. Nun also schnörkelloser gradliniger Rock in klassischer Besetzung mit Gitarren, Bass, Tasten und Schlagzeug. Basismusikkultur. Und das ist nicht einfach eine Jacke die du überstreifst, du bleibst immer du, bist in allem was du anpackst immer glaubwürdig. Du sagst es laut und deutlich, wie immer schon. Nur in deiner Ausdrucksform veränderst du dich.

So ein ganz normaler Tourtag zentriert sich auf diese zwei Stunden Powerworkout, die vielen Kilometer, das Warten, der Soundcheck… und wieder warten bis es endlich soweit ist ….  und dann plötzlich explodiert etwas in dir und du reißt alle mit. Keine Ahnung, wo du deine Steckdose zum Auftanken hast. Inzwischen bin ich mir sicher, sie ist in dir selbst. Wenn es das gäbe, wärst du ein Perpetuum Mobile mit Eigenenergieübertragung. Und den Überschuss gibst du uns! Mir wenigstens geht es so. Ich tanke mich immer wieder an deiner Musik auf!

O.k., wir brauchen deine Hilfe, wenn wir dich „richtig“ verstehen wollen, deshalb hören wir dir auch gerne ohne Töne zu, wenn du in deinem liebenwerten Ton im Babylon deiner drei gelebten Sprachen mit Charme und Witz aus deinem Reisetagebuch erzählst und auch aktuelle hässliche Politik zur Sprache bringst. Da gibt es kein wir-oben-auf-der-Bühne und unten ihr. Du bist immer direkt mitten unter uns. Du erzählst die Überschriften - vielleicht noch den Kerntext und den Rest sagst du in deinen Liedern. Von Träumen, Idealen, Enttäuschungen, Schicksalen. Vom Aufbegehren, vom Kommen und Gehen, vom nicht Ankommen, vom Verloren sein, und immer dem Funken Hoffnung, ohne den es nicht geht.

Du stürmst auf die Bühne, als könntest du es nicht abwarten uns aufzumischen. Du weißt wie es geht: einige deiner schönsten Songs und auch schon das Caffè Caflisch stehen auf der Setliste. Da stellst du die Kommerzregeln wohl einfach auf den Kopf. Der Silberling war ja noch gar nicht da, aber ihr habt schonmal in unvergleichlicher, appetitanregender Art Hunger darauf gemacht. Beginnst mit Camminando ancora, dann Insieme, Pristina, allesamt sehr satt, fett, ungeheuer mächtig, zum Niederknien gut! Caffè Caflisch ist ungeheuer packend, du erzählst die Geschichte der Auswanderer aus Graubünden so ein bisschen wie im Sprechgesang unter einer fliegender Gitarre. Da geht schon das erste Mal richtig die Post ab. Pure Spielfreude. Ein kurzes Kopfnicken rüber zu Jean-Pierre, der macht auf seiner Fender gerade ein bisschen „blau“, drüben hat Sumi den 6saitigen Bass geschultert und lässt ihn ordentlich wummern. Sieht man auch nicht alle Tage auf der Bühne. Das gönnen sich nur ganz wenige. Überhaupt – diese Band! Es kracht ordentlich im Karton! Ihr gebt euch gegenseitig Zunder und erfindet deine Musik wieder einmal neu. Dazu braucht es kein Lichtschnickschnack, keine Bilderflut oder sonst irgendetwas, das ablenkt. Musik pur. Alles reine, feinste Musikdroge. Ich wünsche mir sehr sehr sehr, dass diese Band auch 2009 wieder live zu erleben ist. Da geht nichts drüber!

Ihr lasst den Sound der 70ger wieder aufleben… ein frisches Re-Sound-Erlebnis wie es echter nicht klingen könnte. Das große Gefühl von „Welt, hier bin ich…“ nacherleben, musica musica musica ist das Zauberwort, musica musica musica…. Da gibt’s Melodie und Harmonie und Saft und Kraft richtiger Instrumente. Und deine Stimme macht mir sogar innerlich Gänsehaut. Rau oder zart, laut oder nur ein Flüstern, leidenschaftlich und eindringlich. Du hast soviel Kraft und Empfindsamkeit in dir und bist damit so großzügig. Ich höre deine Seele und manchmal auch ein bisschen Schmutz.

Mal schnell, kurz, hart im Takt, ein bisschen western-stylish, war es bei Seconda Republica?, oder diese begnadete Version von Centopassi, das JP auf der Slide so unverwechselbar macht. Du hast mich ja schon oft förmlich überrollt, wenn du dich in dieses Tamburinstück – sprechender Titel: Tamburello – hinein verstiegst. Heute spannt ihr mich mit diesem laaaangen spannungsgeladenem Intro regelrecht auf die Folter, das macht mich fast irre! Und dann entlädt sich dieser aufgebaute Druck in einem vulkanösen Ausbruch wie in eine Befreiung. Mit Sambadio bleibt ebenfalls alles anders, rhythmusbetont von zwei Gitarren, gewolkt von Filz und etwas Bass, eindringlich wie selten zuvor! Dann wieder habt ihr wunderschöne ruhige Momente, lange Töne, voller Atmosphäre und Raum. Terra, auch Hoffnung und Romantik haben in deinem Herzen Platz und auch das ist in dieser Intensität der fett gerockten Version kaum auszuhalten, mal überschäumend, mal sinnlich leise, voller Tempowechsel, da ist alles drin, was Herzmusik ausmacht. Mein Aha-Erlebnis kündigt sich mit trillernden Gitarren an, Ephrem Lüchinger hat sein Akkordeon geschultert und wagt sich an den Bühnenrand. Chiaramonte Gulfi kündigt sich an und wird zum riesigen Fest auf der Piazza. Und du feuerst ihn auch noch an…. Bisher mochte ich das Stück nicht so sehr, aber in dieser hochheiliggerockten Version …heiliger Bimbam, das isses!

Du nimmst ja gelegentlich auch Lieder in dein Programm, die nicht aus deiner Feder stammen. Dann hat es einen guten Grund – in ihnen fließt auch dein Herzblut. Das Eine: Lucio Battistis La collina dei ciliegi habt ihr ausgiebig zelebriert, da seid ihr förmlich abgehoben. Riesig! Das Andere: Grida No! ist so eine absolute Übernummer, die hat mich im „Über die Grenzen“-Programm schon völlig weggehauen. Jetzt hast du „Sage nein“ endgültig zu deinem gemacht! Es ist viel rauer, ehrlicher, direkter geworden, ihr habt das Feuer neu entfacht, einfach den Pathos weggerockt und dieses Stück Musik endgültig neu aufgesetzt. Mit wilder Entschlossenheit singst du gegen Gleichgültigkeit, das Weggucken, gegen Betonköpfe. Und deine Jungs multiplizieren jedes Wort, jede Bewegung. Du springst schier aus deiner Haut, beängstigend wild ist deine Stimme, du rüttelst uns tüchtig durch, alles will aus dir raus.

Ich hüpfe wie ein Flummi, tanze vor Freude, endlich mal wieder Gitarren, Bass und Schlagzeug spüren, Musik innen fühlen. Als mancher schon glaubte, da gäbe es keine Steigerung, habt ihr nach der Pause noch eine Schippe drauf gelegt. Ihr verkörpert wahrhaft eine Band. Da muss mehr sein als nur eine gemeinsame musikalische Peilung und gute Stimmung. Da hat jeder längst seine Eigenständigkeit, aber hier ist es eben die Swiss-Connection-Band, die sich in diesem wohltuenden Lärm ergibt. Da zieht ihr vom Leder, dass mir Hören und Sehen vergeht. Selbst mit den Zugaben haut ihr noch ordentlich auf den Putz. Von wegen langsam ausschleichen! Finnegan’s Wake, Sotto la Ruota und noch Einiges mehr. Bekenne mich zum Filmriss. Ihr habt mich blanko gespielt. Mein Bericht ist höchst unvollständig - objektiv sowieso nicht. Man kann Musik übrigens auch mit den Augen hören – mit Brigittes Bildern geht das. Ihre Bilder sind nämlich Hörbilder.

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de