29. September 2007, Kulturverein Wespennest inNeustadt/Weinstrasse

    So klingt ein sizilianisches Wespennest

von Christel Amberg-Wiegand

 

Es ist einer dieser seltenen, besonderen Abende, die noch lange nachklingen, als längst der letzte Ton verklungen ist. Zurück bleibt ein wohliges Gefühl von Wärme im Bauch und die Vertrautheit der Bilder zweier Musiker, die auf der Bühne ohne große Worte harmonieren und schon gar kein Showgedöns brauchen, um ihre Musik zu präsentieren. Das macht gerade ihre Intensität aus, wie sie die Poesie ihrer Lieder zum Klingen bringen. Noten brauchen sie beide nicht, Pippo und Enzo sind mit Leib und Seele und vor allem aus vollem Herzen Musiker. Voller Herzblut, voller Leben sind die Lieder, das hört man in jedem Ton. Enzo begleitet Pippos Lieder, nein, mehr als das, er steigt in sie ein und füllt sie irgendwie von innen heraus auf seine ganz unverwechselbare Weise, wie er (s)eine! Gitarre zum Sprechen bringt. Sie klingt, als wären es mehrere oder immer andere, so virtuos und voller Inspiration. In den vergangenen zwei Jahren haben sie mit „Racconti e canzoni“ wohl Pippos gesamtes Repertoire durchforstet und neu interpretiert.

Der Begrüßungsapplaus bereits klingt nach mehr als nur das: Neugier und die Freude auf einen gemeinsamen schönen Abend und vor allem Bereitschaft mitzugehen. Mit entwaffnender Offenheit spielt sich Pippo in die Herzen der vielleicht 100 Zuhörer. Kein Wunder, dass es am Ende Standing Ovations gibt, ganz wie es der Chef des Kulturvereins Wespennest vorhergesagt hatte. Der Dank sind eine Zugabe und noch eine und ein letztes kleines Abschiedslied und ein schelmisches „super gsi“ zum Gruß.

Pippo legt eine ungeheure Kraft in seine Lieder. Seine Stimme ist der Spiegel seiner ganzen Empfindsamkeit, sie ist mal rau, kraftvoll und stark, mal zärtlich, zerbrechlich und einfach aus dem Bauch heraus. Er begleitet sich jetzt öfter an der Gitarre als am Piano, gefällt mir gut, ist ein schöner Kontrast, der den Liedern gut tut. Eine echte Überraschung: bei „Il Pariati di Palermo“, einem alten sizilianischen Volkslied noch aus seiner Zeit in Palermo mit Agricantus, lässt Pippo ganz allein nur seine Stimme klingen und ich frage mich wie so oft, wo er sie hernimmt, ich habe ihn lange nicht so emotional gehört wie heute, die Melodie geht ganz ungewohnte Wege, ein bisschen fremd und doch voller Anziehungskraft. Vorher gab es schon mit „Banneri“, „Marrakesh“ und „Bossa in Viaggio“ (m)ein kleines Wunschkonzert.

Vor allem nach der sizilianisch kurzen Pause höre ich für mich einiges Neues und auch wohl Bekanntes wie das federleichte „Questa sera“ oder das trotzige „Sotto la Ruota" „unterkriegen lass’ ich mich nicht“, das hoffnungsvolle „Camminando“ und die leidenschaftliche Interpretation des Jacques Brel Klassikers „Amsterdam“.

Es tönt ungewohnt rockig, fetzig, zarte Liebeslieder, Balladen wechseln sich ab mit aufbegehrendem Protest. Leidenschaftlich und ernsthaft, aufgesetztes Pathos findet nicht statt, aber Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Das kommt in jedem seiner Lieder rüber und wird auch so verstanden, auch wenn nur wenige im Publikum italienisch sprechen, verstehen tun sie alle. Wenn Pippo singt, kann auch ich italienisch verstehen. Die Titel dieser Lieder sind mir leider durchgegangen, aber ich habe noch seine Sätze im Ohr „Wer weiß, was es wird, dieser Schatten im Garten meines Hauses“ und „Jeder von uns hat viel Gold zu verschenken und manchmal ist es schwer zu verstehen, wohin das Gold gehen muss“. Da kommt mir der Gedanke, ob und wie Pippo vielleicht ab und zu mit seinem „Schicksal“ in Deutschland hadert, er sich „nur halb“ verstanden fühlt, seine Lieder für uns mehr nur das Gefühl transportieren und die Worte flöten gehen. Aber jeder, der heute Abend eine CD mit nach Hause nimmt, greift auch zum Booklet und macht sich auf den Weg zu den Texten. Pippo hat den Bogen gespannt und das bleibt er auch….

Über zwanzig Jahres unterwegs sein, machte ihn hellhörig, aufmerksam und sensibel. Auch in Gefängnissen gibt es Gesten von Zuneigung und die erlebte Story hinter „Welcome Home“ beweist, dass wahre Freundschaft über Jahre hinweg auch ohne Begegnung bestehen kann. So ging der Wunsch, das Lied dieser Freundschaft mit Bob Gault zusammen auf CD festzuhalten, in Erfüllung.

Auf der Bühne ist Pippo ein ungeheuer charismatischer Mensch, sein Ich strahlt einfach irgendwie nach außen durch seine Musik. Neben der Bühne ist er beinahe scheu und zurückhaltend, wenn er sich unter seine Fans mischt. Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Pippo gibt in seinen Liedern seine ganze Welt preis, vielleicht ist deshalb der Abend als „Weltmusik“ übertitelt. Cantautore. Liedermacher, Liedermaler. Er trägt das Herz buchstäblich auf der Zunge, trägt mit seinen Liedern sein Innerstes nach außen und erntet dafür den doppelt und dreifachen Dank seines Publikums. Mal ist es ganz still und ganz gebannt und dann wieder geht es mit, unberührt ist keiner. Pippo wiederum scheint diese Zuneigung förmlich aufzusaugen. Er lässt sich treiben von Enzos Solostück „Shapes“ und seinem Rhythmusgefühl mit dem Tamburine, auf und davon.

Und dann trägt man diese Gänsehautmomente mit sich und vielleicht gelingt es beim nächsten Mal, wenn das Alltagskarussell mal wieder zu dolle Geschwindigkeit aufnimmt, einen Moment inne zu halten und sich ein Bild dieses Abends in den Kopf zurück zu rufen. Eine wunderbare Gelegenheit, sich für einen Moment anzuhalten.

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de

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