11. Januar 2008 - Tourpremiere im Volkshaus in Zürich

Freundschaft und Musik von Herzen
von Christel Amberg-Wiegand

Der Applaus hat etwas von stürmischer Begrüßung, er klingt wie endlich-seid-ihr-wieder-da - „Di nuovo insieme“! Linard Bardill und Pippo Pollina teilen wieder eine kleine gemeinsame Zeit mit uns. Und das Volkshaus meldet ausverkauft. Irgendwoher hab ich die unglaubliche Zahl von 1200 aufgeschnappt! So viele Menschen wollen den beiden eine großartige Premiere bereiten und sich einen besonderen Abend.

Es wird ein langer Abend prall voll Gefühl von ausgelassener Freude bis Melancholie. Gut zweieinhalb kurze fröhliche, nachdenkliche, lustige, überzeugende, inspirierende, spannende Stunden, mit einem jugendhaften, sprühenden Pippo Pollina und einem voller Esprit und warmherziger Seele erfüllten Linard Bardill. Die Bilder im Fotoalbum des Abends machen irgendwie diese Aura sichtbar, die die beiden zu umgeben scheint. Sie hat die Farbe rot. Wenn die beiden überhaupt Lampenfieber hatten, dann haben sie es locker überspielt. Pippo trägt Herz und Seele direkt vor sich her. Linard dagegen scheint seine Gefühle eher in Worte und Musik zu verpacken – Pippo der junge Wilde und Linard der besonnene große Bruder?

Pippo steuert auf den Flügel zu, legt seine Hände auf die Tasten und pendelt sich durch die weichen Töne hindurch in „ihr“ Lied. Insieme ist so eine Art Vermächtnis und Versprechen und sagt alles über ihre Freundschaft. „Freund, bleib einen Augenblick noch hier“. Es strahlt richtig aus ihm heraus, als er uns dann auf schwiizerdütsch begrüßt. Linards musikalische Antwort darauf ist Compare und dieses Wort bedeute weit mehr als das deutsche Wort Kumpel, erzählt er. Einen Kumpel könne man loswerden, einen Compare habe man fürs Leben. Das genau ist in jedem Ton zu hören, zu spüren und zu sehen und dazwischen auch. „Ich bleibe, ich teile mir dir meine Träume und auch meine Sorgen…“. Sie strahlen etwas aus, das nur aus blindem Vertrauen entstehen kann. Die beiden jonglieren sich musikalisch die Bälle zu, mal zaubert der eine mit weicher sanfter Stimme, mal der andere kraftvoll und mit viel Gefühl. Jeder ist in den Liedern des anderen zu Hause, nicht das Nebeneinander, das Miteinander ist das Besondere. Pippos Sambadiò bekommt eine ganz neue Identität, Ausstrahlung, ein neues Geheimnis, wenn Linard es singt. Dann steigt Pippo mit ein und plötzlich erhält es ein Stück Ursprünglichkeit zurück.

Pippo wechselt immer wieder vom Flügel an die Gitarre. Dann, mit zwei Gitarren klingen die Lieder noch ein bisschen wärmer. Die Entfernung zum Publikum und die Größe des Saals haben sich längst aufgelöst. Linard hat außerdem eine afrikanische Charango mitgebracht. Die ist sehr viel kleiner als eine Gitarre, und ich frage mich, wie sich diese großen Hände darauf zurecht finden. Ein Lied zum Mitsingen gemacht, handelt von schrägen Vögeln, von Menschen, die nicht alltäglich oder „normal“ sind, aber von denen jeder was abgucken kann. Weltenbummler und Weltbürger wie er und Pippo sind gegen Rassismus und gegen Intoleranz intolerant!

In diesem Programm haben bis auf Französisch alle Schweizer Sprachen Platz, manchmal sogar im fliegenden Wechsel. Jedenfalls macht es ihnen diebische Freude, alle gängigen Klischees von Schweizern über Italiener und umgekehrt zu nennen. Pippo mit seiner liebenswerten Sprachmelodie übt sich in schwiizerdütsch, als beide in einem Wortduell wortreich und humorvoll ernst den Schweizer Nationalismus auf die Schippe nehmen. Das Zauberwort heißt Naturalizzazione – Einbürgerung – Pippo wird wohl im nächsten Jahr den Schweizer Pass bekommen. Linards Geheimnis ist sein gelegentlicher Rückzug in völlige Dunkelheit und was er darin wundersames mit sich erlebt. Dunkelheit ist totaler Rückzug, Stille. Anhalten. In sich schauen.

Ein Lied auf einen einzigen Akkord C- drückt es aus, und da helfen auch Pippos Ausbruchsversuche nicht „das ist langwiilig, kann ich nicht was anderes spielen?“, nein, es ist und bleibt langwiilig „wiä, wenns i dr Schwiiz nur Schwiizer hätt“. Manchmal scheinen die Lieder an der Oberfläche leicht und unbeschwert und darunter liegt berührende Lebenserfahrung mit einem leisen Lächeln. So ist auch das Lied vom Regenbogenbuddha. Es ist ein Plädoyer für das Leben im Jetzt und eine einzige Liebeserklärung an seinen Sohn, der ihm ganz einfache Dinge jeden Tag auf seine Weise zeigt: sich Zeit nehmen für den Augenblick, für den Regenbogen, der nicht warten kann, der wertvoller ist als Arbeit, die nicht davon läuft. Wenn Linard, der Herzmensch und der Gedankenliedermacher für Kinder und Große, in seiner Alltagssprache Romantsch singt, klingt es ganz lebendig und gut im Ohr, und für mich völlig fremd, weil da so gar nichts ist, woran sich mein Ohr anlehnen kann.

Ich stelle mir gerade vor, wie Pippo und Linard damals in Luzern aufeinander trafen. Wie zwei Sterne kreisten sie wohl in ihren Bahnen und dann muss da so eine Anziehungskraft gewirkt haben, die sie aufeinander zu bewegen und verweilen ließ, sich voneinander entfernen, aber nie voneinander trennte. Camminando mochten sie trotzdem nicht spielen, schon weil es jeder erwartet. Aus der gemeinsamen Feder gibt es ja jetzt zum Glück Camminando Due! Und Terra natürlich, voller Poesie und Zuversicht und das Bekenntnis zu ihrer Heimaterde und ich weiß nicht, welche genau sie meinen, weil es sowieso ohne Bedeutung ist.

Aber da ist auch das ewige Dilemma, das Gefühl zwischen „Heiweh und Highway“, wie Pippo es nennt. Kaum dass man zu Hause ist, zieht es einen wieder raus auf die Straße. Heimweh nach der Welt. Ein Lied zum Mitsingen für alle, denn wir profitieren ja davon, dass es dieses Heimweh nach Highway gibt!

Der schönste Moment der ersten Hälfte ist Il giorno del Falco in Erinnerung an ihr Finden vor 20 Jahren und in gemeinsamer Verehrung und Achtung für den ermordeten chilenischen Sänger Victor Jara. „Ich singe… weil die Gitarre Vernunft und Gefühl kennt“. Dieses Lied passt wie kein anderes zu ihnen, sagt Linard und der stürmische und überwältigende Applaus gibt ihm Recht. Es ist ausdrucksvoller als je zuvor…

Verordnetes Unrecht und Lüge hören nie auf, die Gegenwart ist voll davon. Pippo geht wieder an den Flügel zurück und erzählt die ungeheuerliche Geschichte des noch immer ungeklärten Abschuss eines Zivilflugzeuges über dem Meer, wie er gebeten wurde, diese Oper zu schreiben, dass er lange überlegt habe und schließlich zusagte. Eines seiner Lieder aus Ultimo Volo stellt er uns vor. Ein Schauern fährt mir über den Rücken und bleibt im Magen stecken. Pippo hat eine Musik geschrieben, die voller Kraft und Größe für jeden einzelnen der Opfer und deren Angehörige sein bleibendes Stück Erinnerung, Anerkennung und Anklage ist. Am Ende bleibt eine atemlose Stille im Raum, bevor der Applaus einsetzt. Bei der Zugabe geht es mir noch mal richtig unter die Haut, als Pippo die ersten Akkorde von Plötzlich anschlägt…ebenfalls eines der Früchte dieser Freundschaft und es hypnotisiert mich geradezu, wie sich „tausend“ Fragen in zwei Sätzen Hoffnung beantworten.

Linard und Pippo vergessen in ihrer Freude über den Abend nicht die unzähligen fleißigen Helfer, die dieses Konzert möglich machen: am Licht, für den guten Ton, die Mitarbeiter des Volkshauses vor und hinter den Kulissen, alle dürfen sich den großen Applaus teilen. Und die Beiden freuen sich unbändig über die gelungene Premiere, herzen sich und strahlen um die Wette. Und dann kommt doch noch Camminando und es sprüht nur so vor Leben und Freude. Ich wünsche den beiden jeden Abend ihrer gemeinsamen Tour so viel Freude und ein so herzliches Publikum.

Herzlichen Glückwunsch Euch beiden zu diesem wunderbaren Programm, das ihr so reich und voll von euren Herzen zusammengestellt habt. Danke an die Zeit, die euch nach so vielen Jahren wieder zusammen geführt hat. Und danke an die Freundschaft, die euch über euer Leben im Gepäck verbindet und immer wieder erneuert und euch da weitermachen lässt, wo ihr euch verabschiedet habt.

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de

Fotoalbum