14. Februar 2009 - Pippo Pollina & Swiss Connection Band
Reutlingen, franzK

Spaßgesellschaft.
von Christel Amberg-Wiegand

Pippo Pollina (Betonung vorn), jetzt wissen es auch die Reutlinger, mit der Swiss Connection Band dreht den Veranstaltungsraum im franz.K mit links auf links. Der Funfaktor steigt wegen gegenseitiger Anmache sekündlich auf der nach oben offenen Erregungsscala. Ungenierter Spaß pur für alle Sinne. Dafür sorgt die Swiss Connection Band als mit allen Wassern gewaschenen und Segnungen versehenen Hard-Rock-Band. Hard-Rock – ja, so hieß das einmal – war und ist Musik mit Substanz: eine möglichst geräumige Drum-Baustelle, die mit dem durchdringenden trocken wummernden Bass die Ausflüge von zerrenden Gitarren (die Ikonen trugen Gibson und Fender) zusammenhält. Darüber eine Röhrenstimme, Reibeisenstimme, jedenfalls eine aussagefähige, eine, die was darstellt und den Texten Leben gibt, denn die hatten es auch damals schon in sich, schließlich war Protest angesagt. Nicht nur Anni Settenta ist heute die korrekte Wiederbelegung des Zeitgefühls einer ganzen Generation.

Die Ewignörgler werden besserwissern, nur Spaß haben, na ja, das ist ja Proll und halbiert den Kunstgenuss mindestens. Schließlich müsse man dem Künstler voll gerecht werden. Wo bleibt denn da der Kopf? Kein Grund zur Sorge, Spaß heißt hier nicht sinnentleert und grundsätzlich ist mit Anwesenheit glänzen schon ziemlich viel Gerechtigkeit getan, heute ca. 400fach. Und denen, die tadelnd den geneigten, leicht ergrauten, bedenkenvollen Kopf schütteln, sei gesagt: No risk, but fun... Von dieser Sorte Vernünftigkeitserwachsener ist aber niemand da. Auch nicht Brezelpublikum und Mitgenommene. Die Bestuhlung wirkt gottlob nicht als Spaßbremse. Unmittelbar mit dem Begrüßungsapplaus liegt eine aufgeregte, hungrige Stimmung direkt zum Greifen in der Luft. Pfiffe, Zwischenrufe, Standing ovations und eine angemessene Portion Hexenkessel sind für ein Publikum jenseits des Jugendwahns sehr ordentlich. 1. Spaßregel: Musik hören, schmecken, riechen, fühlen, aufsaugen. 2. Regel: laut ist gut, laut muss sein, aber laut ist nicht gleich Lärm. 3. Regel: Die Connection versteht ihr Handwerk, JP als sozusagen zweiter Frontmann neben Pippo beherrscht so ziemlich alle technischen Raffinessen, wie man mit 10 Fingern (und Füßen!) auf diversen, Stromgitarren u.a. aus dem Hause Fender, das Publikum und sicher auch sich selbst kirre spielt. Auf Showgedöns jeglicher Art wie manch einer dieser Hauptsache-laut-und-schrill-Typen kann er – wie übrigens alle - getrost verzichten. Aber Songs wie Centopassi mit diesem unglaublichen Soli oder Confessioni mit diesen scharf-knackigen chackachacks nicht auf ihn. Zwischen den Songs schubst uns Pippo in seinem liebenwerten „Deutsch mit Knubbeln“ in die richtige Spur und seine Lieder in Position. Politik darf=Entscheidung, kann=Verantwortung und muss=Verpflichtung sein – jedenfalls für ihn. Derweil sitzt der Rest der Swiss-Connection auf heißen Kohlen und wartet auf das go.

Die Herz-Hirn-durch-den-Bauch-Verbindung bleibt bis tief in die Nacht noch aktiv geschaltet, weil da immer einer mit so wahnsinns Gitarrenriffs rumkreiselt. Oder Pippos Stimme wie die Nadel in der Rille einer Vinyl immer auf Banneri hängen bleibt, oder Sumis Bass immer noch soooooo schön unterm Bauchnabel vibriert, oder da ein Bali mit diesem Herzrhythmusfilzklöppeltakt von Sambadiò den Puls übernimmt. Und im Hintergrund ist da noch diese never ending Schweineorgel bzw. das Akkordeon vom Dorffest in Chiaramonte Gulfi. Die Bemerkung eines gewiss Ahnungslosen, der da völlig konsterniert guckt „ach, gestern auch schon?, die gleiche Band?, kostet mich ein mildes Lächeln. Er hat noch nie dieses Glück gefühlt, diesen Rausch noch nie durchlebt, wenn man vor lauter Adrenalinüberschuss nicht still sitzen und die Welt aus den Angeln haben möchte und im Kopf die Verbindungen mit der Aufschrift „jetzt benimm dich mal deinem Alter entsprechend“ völlig zusammengebrochen sind. Das Livemusik-Virus ist lebensbereichernd und –verändernd. Es befällt junge Menschen und macht aus ihnen Musiker, die dann ihrerseits ganz gewöhnliche Menschen süchtig machen. Perfekte Symbiose. Im letzten Akt des gemeinsamen Spaßtrips hat Pippo sich und der Band Lucio Battistis La Collina dei Ciliegi verordnet, um nach allen Regeln des Rock’n Roll hemmungslos die Kuh fliegen zu lassen. Finnigans’ Wake war schon Alarmstufe dunkelorange, rasch noch den Bottleneck aufstecken und los. Suotto la Rota und Buona Fortuna sind nur noch rot-rot-rot in seliger Verbindung von wahrhaftiger Musik und energiegeladener Performance. Für solche Erregungszustände braucht der Kopf Zeit und Lieder wie Camminando und Siamo Angeli, um aus der Überhitzung wieder rauszukommen. Pippo beherrscht die Kunst des Gehens und nicht nur in seinen Augen sehe ich das Funkeln der Glücksgöttin.

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de