24. & 25. Januar 2009 - Pippo Pollina & Linard Bardill
Romanfabrik Frankfurt & Marksburg Braubach

Da will was raus aus ihnen....
von Christel Amberg-Wiegand

Innerhalb eines Jahres beglücken uns Pippo und Linard mit der zweiten gemeinsamen CD. Ihr neues Programm ist so etwas wie die Quersumme aus beiden. „Die Romanfabrik“ ist proppevoll, der Raum ist ja nicht allzu groß, das tut der Atmosphäre nur zu gut, denn Musiker, das wissen wir alle, spielen am Liebsten vor vollem Haus. Juhu, ein Flügel! Wenn Pippo die Seele ihrer Lieder einem Flügel anvertrauen kann, bekommen sie ein neues Leben eingehaucht. Und viel mehr Gefühl. Linard verabschiedet Pippo gern mit den Worten: „…. an Gitarre, Flügel und G’fühl…“.  Er beginnt mit Ancora camminando und eins ist sicher, der beste Ort der Welt für die nächsten gut zwei Stunden ist hier.

Linard gehört zu einer Minderheit. Nur wenige tausend Menschen sprechen, denken und fühlen Rätoromanisch. Noch weniger dichten und singen. Und er ist ein begnadeter Erzähler. Wenn er erzählt, sind auch die Hände nicht still. Wenn er erzählt, spricht sein ganzer Körper. Wenn er erzählt, möchte ich wie ein Kind vorm Gute-Nacht-sagen betteln, noch eine Geschichte, noch eine… Die Liebe zu seiner Scholle strahlt da heraus, es ist Geschichte in der Geschichte, witzig, so lebendig erzählt, es gibt viel zu lachen und auch manches Aha. Reisen bildet. Wenn er singt, lausche ich gespannt, achte auf jedes Wort, alle tun das, es ist mucksmäuschenstill. Nur Romantsch hat keinerlei Anlehnungspunkte, das ist dann ganz „Musiktheater“. Wenn er singt, verrät er ein Geheimnis, ja, das isses wohl. Wenn er singt, sind seine Augen meist geschlossen, und er erfühlt sich dieses nur für kurze Zeit bestehende Hier und Jetzt. Seine Ausstrahlung und die kraftvolle schnörkellose Stimme schlägt einen sofort in den Bann. Pippo und Linard – auch darin sind sie sich ähnlich. In diesem Mikrokosmos Romanfabrik kann nicht ein My dieses Cocktails aus Künstler- und Publikumsenergie weichen. Das Publikum ist lautstark und hautnah dabei. Applaus und Freude verdoppelt sich, wenn man sie teilt und beides gibt’s reichlich.

Lieder über die Heimat in der Fremde heißt es im Untertitel zu Caffè Caflisch. Heutzutage ist es Normalität, Heimat in der Fremde zu suchen. Das ist die gute Option, klappt aber nicht immer. In Lampedusa singen sie „… versoffe, wie Ratten im Meer…“. Das Atmen der Völker, wie Linard es treffend nennt, wird abgewürgt. Besitzstandswahrung. Teilen ist Verlust. Ein Lied das nichts beschönigt „während die einte vor luter ässe nümme gwüsst händ, was ässe isch…“ – Worte, wie eine kalte Hand im Nacken. Die Vertonung eines Gedichtes seiner Lieblingsdichterin macht mir Gänsehaut: „Ich such’ eine Stadt, die einen Engel vor der Pforte hat… einen Stern als Sigel.“ Sie: aus Berlin geflüchtet, in Zürich gestrandet und später nach Israel ausgewandert. Er: in Indien darauf gestoßen und Heimweh bekommen. Eine Weltreise der Worte führt zur Heimat zurück.

Pippo und Linard haben „das Thema“ in ihrer eigenen Liederhandschrift natürlich ganz unterschiedlich angefasst, selbstverständlich in allen ihren gelebten Sprachen, die fliegen wie Pingpongbälle hin und her. Sprache wandert ja mit aus, auch darin muss man heimisch werden. Linards Liederschrift ist direkt und unumstößlich und irgendwie, wie soll ich sagen, aufrecht, gewichtig und strahlt eine innere Ruhe und Kraft aus. Ich bin sicher, an jenem Abend hat er klammheimlich jedem ein Bookmark ins Herz gesetzt. Als der letzte Ton von I liebe di verklungen ist („I han mi verloore, verloore in dir…“), geht ein kollektives Seufzen durch den Raum und vor mir trifft sich ein Paar zu einem innigen Kuss.

Pippos Lieder sind oft gläsern zart und man möchte sie unter Schutz stellen, so schön sind sie. Siamo Angeli ist so eines und auch Ciao bella ciao. Sie sind sein Herz auf der Zunge. Sein Caffè Caflisch erzählt die Geschichte der Caflischs, die mit Mut und Selbstvertrauen und Fleiß in der Fremde Heimat fanden…. Bei Linards En Leopard im Kaffi sitzt man unsichtbar mit am Tisch. Linard singt in Wenn i gohn davon, was er alles mitnimmt und insgeheim packen wir alle mit…. Pippo sitzt in einer New Yorker Bar, Songwriter im typischen Piano-Bar-Stil, leicht angejazzt und ein bisschen verraucht und singt sich in jeden hübschen Kopf und jedes Herz, wenn er es möchte… „… and more“ … balzt, blubbert, schmeichelt… und schickt ein Lächeln hinterher, Mamma mia! Zusammen oder jeder in seinem Solopart, man sieht, hört, spürt immer diese ehrliche, natürliche Warmherzigkeit. Dann sind sie ganz ganz eng beieinander, reichen sich aus diesem Moment heraus die Hände und strahlen einfach dieses Glück heraus. Ihre Lieder sind immer meine-deine-unsere-Lieder. Weltenbummler sind sie beide und wissen, wie sich Kommen und Gehen und Heimat in der Fremde anfühlt. Mit Caffè Caflisch treffen sich ihre beiden Lebenswege auf bemerkenswerte Weise. Christian Caflisch, so erzählt Linard, ist in Graubünden ganz in der Nähe geboren, wo er zu Hause ist. Mit Kind und Kegel sind die Caflischs nach Palermo ausgewandert und haben dorthin ihre Zuckerbäckerhandwerkskunst, Butter und Sahne und gebracht. Pippo saß als Student oft im Café Caflisch und viele Jahre später, als er in die Schweiz kam, ist ihm der Name Caflisch wieder begegnet.

Im großen Saal auf der Burg sind die Stimmungsparameter ganz anders, doch die räumliche Distanz spielt nach kürzester Zeit natürlich überhaupt keine Rolle mehr. Spätestens wenn Pippo den Saal zum gemeinsamen Singen eines sizilianischen Volksliedes überredet hat, sind sämtliche Hemmungen verfolgen. Eine nette Knubbelei ergibt sich während des Programms, das einen Rahmen hat und sich ansonsten nach der künstlerischen Freiheit gestaltet, als Linard beim Erzählen schon bei Lampedusa ist, aber Pippo erst später dahin kommen möchte. Tastenhoheit hat gesiegt. Ich liebe Konzertdoppler. Da ist doppelte Freude und die Neugier, was ist wohl anders. Jeder Abend ist eine Premiere. Die allerletzte Zugabe ist ein ganz besonderes Highlight: Camminando – wie einst als Straßenmusiker, gemeinsam, nur Stimmen und zwei Gitarren und sonst nichts, noch nicht einmal Strom. Direkter, dichter, näher, intensiver geht nicht. Da konnten wir dann nicht anders, als hartnäckig sein. Auch sie konnten nicht anders als dieses reine, unverfälschte, grundehrliche, aufrichtige, hoffnungsvolle Plötzlich nachzulegen. Pippo am Flügel begleitet Linard und beide lassen Klang und Gesang ihre Wirkung tun, halten sich in großer Übereinstimmung irgendwie aneinander fest. Die pure Magie. Es ist schwer, von dieser Wolke wieder runterzukommen, es bedurfte eines langen Applaus und vieler vieler Verbeugungen und einer kurzen Nacht. Der unvergessliche Ausblick auf das Mitteilrheintal half am nächsten Abend zu chillouten. Nicht zu vergessen der nächtliche Nebel, der die Welt in graue Watte hüllt und das Autofahren ungefragt verabenteuert.

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de