Eichers Werk und Apples Beitrag.....


Fortsetzung:

Dieses kleine Théâtre des Roches dort oben am Hügel über Alise-Ste.-Reine ist der perfekte Rahmen für ein Sommernachts-Open-Air! Was für eine schöne Kulisse – romantisch im Wäldchen liegend, gemütlich, überschaubar klein, sehr aufmerksames, selbstredend textsicheres Publikum und ein bestens aufgelegter Stephan Eicher. Scheint ihm irgendwie zu liegen, diese kuschelige Atmosphäre, er ist bester Laune und lässt sich diese auch nicht durch die Tücken der Technik verderben. "… vous êtes drôle mais je vous aime."

Mit großer Geste für einen Freund, "Pas d'ami comme toi" heute abend, stimmt das Publikum mit ein und übernimmt den Refrain. "Manteau de Gloire" steigt mit leisem Rhythmus ein, Percussion dazu und Geige und Fabrice versucht, das Problem mit der Technik in den Griff zu bekommen, nestelt immer wieder am Sender an Stephans Rücken. Wir im Publikum hören davon nichts, mit der Musik stimmt alles, der Sound ist o.k. Die beiden nehmen es mit Humor, lassen sich keineswegs die gute Laune verderben und machen das Beste draus. "Combien de Temps" ungewohnt rockig, druckvoll mit fettem Bass dazu – aber wer spielt die Mundi? Eine Überraschung nach der anderen! Diese unvergleichliche, nie so gehörte packende Version von "I tell this night" erkenne ich fast nicht wieder. Wunder-wunderschön. Symphonie von Bits und Bytes.

Heute kommt "On nous a donné" mit einem ganz neuen schrägen Intro daher, natürlich sehr rhythmisch, mit ordentlich Bass drauf, gehackt, irgendwie tobt er sich aus mit seinem technischen Background. So auch "Ce peu d'amour". Stephan gönnt sich eine Erfrischung, scherzt und parliert mit seinem Publikum und erzählt die Geschichte von Rivière, der Hymne an die Faulheit, dem Chanson dangereux damals und ist froh und voll des Lobes heute über die Security. Die Jungs sind heute angenehm relaxed. Vor allem unauffällig, sie halten sich sehr dezent im Hintergrund. Ich versteh' zwar leider viel zu wenig von dem was da wortreich rüberkommt, aber die Stimmung ist einfach toll!

Silence angezupft, muss Petrus da einen kleinen Moment irritiert gewesen sein, als er ausgerechnet zu der hypnotisierenden Nummer "Rivière" ein paar Regentropfen vom Himmel schickt. Oder sind es himmlische Tränen? Es müssen Freudentränen sein. Es würde mich überhaupt nicht wundern ... Schade, leider wird's deshalb etwas unruhig unter dem Blätterdach vor der Bühne. Stephan, das Spielkind, ist voll in seinem Element und ich glaube meinen Augen nicht zu trauen, als ich ihn die Gitarre vorm Gesicht in das Schallloch singen sehe – und höre! Sehr faszinierend, was für eine Stimme das erzeugt, dieses Gitarrenmikro verzerrt irgendwie sehr speziell die Töne, eine typische Eicher-Idee offensichtlich. Es macht ihm sichtlich Spaß, mit diesem Effekt überlässt er uns ganz oft dem Staunen! Spielkind der Musik, auf Entdeckungstour und neugierig auf seine eigene Musik, wie sie klingt, so ganz anders. Er ist in seinem Element, kommt vor an den Bühnenrand – und schießt sie aus, die Technik. Peng! Stille! Toller Effekt!

Auf einmal spielt Eicher zum Tanz! Stephan wechselt für dieses eine Mal das Instrument und greift zur schwarzen E-Gitarre. Dem Mac entlockt er eine sehr französisch klingende Klarinette. Was ist das denn bloß für ein Titel, denke ich? Kommt mir irgendwie sehr bekannt vor. Seine Spielchen mit dem Publikum kann er natürlich heute bestens tun, sie tanzen mit und übernehmen locker den Refrain. Dass es "La goualante du pauvre Jean" von Edith Piaf ist erfahre ich erst viel später. Wo er das wohl wieder ausgegraben hat? Ich bin wieder einmal völlig baff.

Die siebenhundertsechsundfünfzigste Version von "Des Hauts, Des Bas" fängt ganz beschaulich an, SE steckt den Kapo auf die Saiten und steigert sich dann dermaßen hinten raus, dann kommt Fabrice dazu mit zweiter fetter Stromgitarre und die beiden lassen den Felsen erzittern. Stephan schrabbelt über seine Gitarre wie ich es nur von ihm kenne. Publikum tobt und fordert mehr! Kommt prompt, nach einem Break geht's grad nochmal richtig ordentlich zur Sache.

Zu zweit liefern sie eine akustische Version von "Tu ne me dois rien" ab, die mir ordentlich in die Knie fährt. Ganz langsam hebt es mich aus den Schuhen! Lieber Himmel, was für eine Version, steigt sie doch richtig satt ein zum Schluss. Die Nullen und Einsen in seinem Mac hat Stephan absolut perfekt zu musikalischen Diamanten in Reihe gestellt. Und das klingt keineswegs leblos steril!

Absolut faszinierend was ich da erlebe und entdecke! Ein Stephan Eicher erfindet sich wieder, oder wieder neu, oder ist es ein back-to-the-roots gewissermaßen? Jedenfalls unglaublich spannend diese eichersche Selbsterfahrung! Alles irgendwie bekannt und vertraut und doch so neu und anders und aufregend. Musik entwickelt sich zu einer Welle! Sie baut sich langsam auf, spült mich an den rettenden Strand, zieht mich mit heftigem Sog wieder hinein in den Musikstrudel, türmt sich auf und bricht über mir zusammen. Ich fühle mich heftig durchgewirbelt, wo ist unten, wo oben? Taumelnd in der Musik ergeben spüre ich wieder Boden unter den Füßen und hole tief Luft.

Ich habe lange überlegt, wie ich mir Eicher akustisch vorstellen muss. "Autoportrait de Stephan Eicher" heißt das Programm? Passt genau! Das "Bühnenbild" ist sehr minimalistisch, ganz auf die Person Eicher und die Musik ausgerichtet. Der Mac liefert jede Menge Effekte, ersetzt 'ne ganze Band und mehr und trotzdem ist die Musik keinen Moment elektronisch im Sinne von unecht oder leblos. Ganz im Gegenteil! Sie ist sehr speziell und auf ganz besondere Art hundertprozentig Stephan Eicher. Er ist die treibende Kraft, der Mastermind hinter allem, hat jede Menge zu tun da mit seinem elektronischen Apfel und seinem Brett vor sich, setzt mit dem Fußpedal die Effekte, spielt sich zu, reproduziert sich selbst dabei, recorded sich selbst mit seinem Spiel, multipliziert sich bis zu einem finalen Punkt und läßt die Songs laufen .... Immer und absolut Eicher, fremd aber nicht entfremdet, abgehoben und doch immer ganz nah beim "ursprünglichen". Gefällt mir unheimlich gut. Alles passt! Monsieur scheint sich selbst in einen Rausch zu spielen, wie betrunken, selbstvergessen taucht er ab in seine Musik und ist doch absolut präsent. Fantastisch!

Wie besoffen bin auch ich in diesen gut 90 Minuten. Wieso nur geht die Zeit so schnell rum? Dem Glücklichen schlägt keine Stunde, heißt es, aber die Zeit rennt auch hier unaufhaltsam davon. Logisch, dass wenigstens eine kleine Zugabe drin ist! Der Laptop mit dem Apfel drauf hat sicher noch was im Speicher, es fehlt natürlich "Déjeuner en paix"! DAS darf er natürlich hier nicht vergessen! Richtig rockig läßt sich das Publikum den Refrain nicht nehmen! Steigert sich rein in das Ding und liefert den perfekten Hintergrund für eine rattenscharfe Version!

Der Chefprogrammierer hat noch eine wahrhaft schöne Version von "Oh Ironie" vorgesehen, friggelt auf dem Touchpad und hat auf einmal die Mundi am Tun, während die Gitarre am Boden liegt. Ein weiteres Mal die Stimme ins Schallloch geschickt kniet er nieder vor uns. Aus dem Off kommen die Worte Ulrike Meinhofs dazu. Mit der Abschiedsparade am Bühnenrand ist endgültig Schluss. Auch noch so forderndes lautes Rufen nach Zugabe hilft nichts. Lachend und winkend verschwinden die beiden im Dunkel des Bühnenhintergrundes. Was für ein Kontrast zur Taxi-Tour! Niemals hätte ich mir das vorstellen können. Danke hochachtungsvoll für dieses ganz besondere Liveerlebnis!

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de