Stephan Eicher auf Clubtour in Ajaccio, Porto Vecchio und Bastia

Diese korsische Clubtour zwingt uns in einen kleinen Herbsturlaub auf unserer Lieblingsinsel - aber zu gerne haben wir uns zwingen lassen! Und die Gelegenheit sofort beim Schopf ergriffen die Insel jetzt nach Winter und Frühjahr auch einmal im Herbst kennenzulernen. Reich wurden wir belohnt für die langen Stunden der Anreise und für die vielen Kilometer - wurden verwöhnt von einem wunderbaren Spätsommer mit eitel Sonnenschein, Wärme, milder Luft und einem Meer, das noch zum baden einlud. Und wurden verwöhnt von einem Stephan Eicher in Bestform an drei Abenden mit 3 zauberhaft schönen Konzerten - thats it  - mehr habe ich dazu nicht zu sagen - sondern zu zeigen in ein paar Bildern zusammengestellt von dieser aussergewöhnlichen und aussergewöhnlich schönen kleinen Tour im korsischen Herbst. Danke an Stephan für diese schönen warmen Spätsommerabende und mit großem Respekt ziehe ich meinen (nicht vorhandenen) Hut - vor ihm und seinen Musikern: Reyn an Tasten und Bass, Toby Dammit an Drums und Percussion und Martin Wenk an Trompete, Harp, Gitarren und Vibraphon!
 

Korsika Clubtour - Oktober 2006

>Fotos gibts hier<

Ich überlasse das Schreiben lieber meiner Haus- und Hofschreiberin Christel - Danke dafür!

Eichers Garten Eden

… sein Paradies, sein Quell der Inspiration, keine Ahnung, was es ist, sein Rückzugsort in Quarantäne im Frühling und seine Spielwiese im Herbst und jede Menge Hier-bin-ich-Mensch-hier-kann-ich-sein-Gefühl ist Korsika? Wir können das verstehen. Wir mögen diese Insel vielleicht aus anderen aber mindest ebenso ernsthaften Gründen und Musik ist eine davon. Und weil Stephan Eicher noch immer keinen rechten Zug nach Deutschland gefunden hat, nehmen wir die schönste und beste Gelegenheit wahr, beides unter einen Hut zu bringen: Musik und Urlaub. Außerdem war es uns wichtig, ihm unser Buch „erlebte musik“, in dem er einen nicht unerheblichen Part einnimmt, höchstselbst zu übergeben.

An drei Abenden durften wir den Konzertsaal dieses Garten Edens betreten, den Engelbengeln lauschen, uns erquicken, laben, uns immer noch nicht satt sehen und hören und am dritten Abend kam die böse Schlange mit dem Apfel und hat uns vertrieben. Sie hat dann die unglaubliche Länge von 1000 Asphaltkilometern angenommen, nur zwei Stunden Schlaf dafür gespendet und hat dennoch das E-Adrenalin nicht auflösen können. Noch nicht mal abschwächen, im Gegenteil. Nicht die Ferien waren zu Ende, Stephan, du warst zu Ende. Und ich leide an Phantomschmerz.

Das Gegengift ist noch nicht erfunden! No Chance, Ihr Formatradio-Perfuser, ihr werdet uns nicht kriegen und er passt sowieso nicht in eure Schubladen! Dafür ist dieser Musikgötterbote zu wandlungsfähig, zu gut, zu gewieft, zu clever aber vor allem mit Leib und Seele Musiker!

Der erste Abend im „Aghja“ in Ajaccio hat diese ganz besondere Atmosphäre eines Clubs, direkt, dicht, unmittelbar, auf Augenhöhe, so ganz anders als ich es im KKL anlässlich des Blue Balls Festivals erlebt hatte. Der Kontrast kann größer nicht sein. Was sich dort in Dimensionen von Raum entfaltete, ist jetzt verdichtet. Für das gewünschte Clubfeeling gibt’s zwar nur Wasser statt wie gewünscht Champagner, dafür sorgt Reyn für fein perlende Champagnermusik. Es ist heiß und eng, das Publikum geht gut mit an diesem zweiten Club-Abend und ich genieße es doppelt und dreifach in dem Bewusstsein, dass Deutschland noch lange warten muss. Und als Reyn die ersten Töne so butterweich dem Piano entlockt, wie wenn aus einem Füllhorn Klangperlen kullern, habe ich Flugzeuge im Bauch und stehe auf Watte. Mein Blick fällt zum ersten Mal auf Martin, der diese kleine Mundi da hineinstreut und ich denke, mein Gott, weiß er, was er da anrichtet? Toby mit feinem Besenstrich, dass sich die Härchen auf meinem Unterarm ganz langsam wie elektrisiert aufstellen – nur drei Takte lang hat die Schlange ihr süßes Gift verteilt. Und als ich kurz drauf auf meine Ohren höre, registriere ich ganz andere Worte als I weiss nid was es isch, wundere mich kurz darüber und lasse mich dann einfach fallen in das ganz andere aber doch… Plus ou moin. Es dauert einen Moment, bis ich die Antennen auf frz. geschaltet habe und den neuen Text empfange. Klingt auch gut, aber ich gestehe, die Version von Martin Suter gefällt mir viel viel besser. Sie klingt irgendwie weicher, runder, wahrscheinlich unterstelle ich ihr viel zu viel Wahrheit.

War in der Vorpresse zum Blue Balls nicht was von „entrümpeln“ und „ein bisschen Krach machen“ zu lesen? Lieber Himmel, das versteht Stephan Eicher also unter entrümpeln! Und Krach! Entkernen und neu und schöner aufbauen, anmalen, dekorieren? Mit sensibler Respektlosigkeit zerpflückt er seine Klassiker, die bald 20 Jahre aufm Buckel haben und baut sie mit kindlicher Unbekümmertheit und kreativer Freiheit wieder auf, stellt sich in Frage und ist auch offen für die Inputs der Band. Jeder der drei Paradiesvögel hat sowieso die Aufgabe, ständig den Standard zu erweitern und neu zu definieren. Dieses Vertrauen und gleiche Wellenlänge gestattet alle Freiheiten und das Ergebnis sind völlig neue, lichte, überraschend große Räume zum immer wieder Staunen! Eine offene Spielwiese wie geschaffen für multiple Musikerpersönlichkeiten wie Toby, Reyn und Martin.

Der Neue! Er hebt Chanson Bleue und Manteau de gloire in den Hochadel. Nicht nur diese Trompete, schwer, mächtig, zum Gipfel stürmend, ist eine unglaubliche Bereicherung, seine Gitarren, das ganzes Spektrum seiner x-wieviel Instrumente, die Mundi, das Xylophon oder doch Vibraphon?, aber was spielt dann Toby, wenn er nicht an der Batterie arbeitet, alles, womit Martin Wenk die Luft in wohlklingende Schwingungen, versetzt, hat mich absolut überzeugt und beeindruckt! Er breitet sich in dem Eicherschen Repertoire aus, als sei er schon immer darin zu Hause.

Erst jetzt im Rückblick bemerke ich, dass der Set aller drei Konzerte fast durchgängig gleich war, lediglich das, was Zugabe heißt, variierte je nach Lust, Laune, Stimmung. Welch eine Kunst, aus der Inspiration jedes Abends etwas Neues entstehen zu lassen. Der Apple bietet natürlich dazu jede Menge Gelegenheit und er ist beileibe nicht die Konserve, aus der jeden Abend das Gleiche blubbert, sondern darin ist gespeichert spontane Kreativität in Bits und Bytes, um sie festzuhalten und dann an der richtigen Stelle wieder freizulassen, reinzuspringen in den Sound des Abends. Er ersetzt kein Instrument, er wird als solches genutzt. Es wird gar nicht so getan als ob, sondern es ist so. Sounds, Effekte, sind so gewollt und Bestandteil des Ganzen. Ein Gewinn, eine offene Zauberwelt, eine Spiegelfläche der eigenen Kreativität.

Wie viele Leben hatte schon Pas d’ami comme toi? Hier kommt eine weitere Facette in dieser reduzierten und doch vollmundigen Version hinzu, wo Martin erst das Ei rhythmisch rasselt und dann das erste Mal ganz dezent die Trompete mit dem Schalldämpfer einsetzt und diesem Song einen völlig neuen Charakter gibt. Und Tobys Minimalperkussion ist wahrscheinlich kleines Drummereinmaleins, keine überladenen Effekte, alles präzise auf den Punkt. Die vier schaffen eine atem(be)raubende Klangdichte.

Ich lasse mich hineintreiben in diese ganz eigenartig unwirklich blaue Stimmung von Chanson Bleue, dunig, dann lauter, treibend, ein Taumel, der sich auf dem Höhepunkt in kunstvollen Pirouetten dreht und in einem klaren Nichts stehen bleibt. Musik ohne Dimensionen. Schwindlig haltlos im Sturm. Dieser schneidend scharfe Klang der Trompete schwingt sich auf wie ein Vogel in den Himmel zu einer Hymne und bleibt oben stehen für einen Moment wie eingefroren, bevor es sich plötzlich auflöst und vom Applaus aufgefangen wird. Einfach Göttlich. Unbeschreiblich! Hätt’ ich mir niemals träumen lassen, dass dieser Sound so unbedingt da hineingehört.

Als die Klanghölzer Manteau de Gloire ankündigen, entdecke ich auch weiße runde und rote eckige Filzklöppel über das Vibraphon fuscheln, sie erzeugen farbige bunte Töne, die wie Wasserfarbe ineinander fließen, während Toby zwischen Batterie und seinem Vibradingens hin und her pendelt und Reyn irgendwann sein Tastencarré verlässt und mächtig in den Bass greift bis hinauf zum höchsten Zenith. Toby unterfüttert diesen Mantel ganz neu und ganz anders aus seinem Fundus von Rhythmusgerätschaften. Tausend Tricks und Kicks, es scheppert, rasselt, ratscht, klirrt, klappert… Martin erntet jedes Mal Sonderapplaus wie er diese unvergleichliche Spannung aufbaut, die sich hoch und höher schraubt, bevor sie in sich zusammenfällt. Stephan lässt sich mittragen in diese erregenden Sphären, ungebremstes ich-spiele-mich-gerade-schwindelig-Headbanging. Er sieht umwerfend gut aus.

Es gibt eine kleine Überraschung. Ich kriege schon einen wahren Schrecken, als sich Stephan und die Band nach viel zu kurzer Zeit verabschieden, das kann doch noch nicht zu Ende sein! Surprise, suprise, Stephan kündig in bester Gastgeberlaune zwei junge Musiker an. Florent und Alex Carta. Lokalmatadoren aus dem Szenekneipenleben, die er am Abend vorher irgendwo gehört und ganz spontan entschieden hat, dass die beiden bei ihm zu Gast sein sollten. Sie machten nicht den Eindruck, als hätten sie Lampenfieber und das Publikum ist auch sofort auf ihrer Seite. Ein typisch korsisches Lied und ein weiteres, etwas Flotteres ist ihre Visitenkarte. Gitarre und schöne Stimmen und eine hübsche Melodie. Die Eicher-Band klinkt sich ganz selbstverständlich ein und schüttelt alles gut durch. Danach geht’s natürlich in die 2. Stephan-Eicher-Halbzeit!

Weit nach Mitternacht nehmen wir den Rückweg nach lle Rousse unter die Räder. Er verlangt mir einiges ab. Der Weg über den Vizzavona-Pass bereitet meinem Magen heute Unbehagen, er ist immer in einer Linkskurve, wenn das Auto schon längst wieder nach rechts schwenkt. Aber alles das kann mein unbändiges Glückgefühl nicht kleiner machen, dass noch zwei Konzerte diese Urlaubswoche krönen.

Drei Tage später beschleicht mich ein ganz anderes flaues Gefühl. Die Woche hatte schon Bergfest und heute ist Zwei von Drei. Herrlich erholsame Tage, inkl. Baden im Meer, Sonne tanken und Ruhe und Luft, kulinarische Köstlichkeiten und neue Wege entdecken liegen hinter mir. Das Centre Culturale ist ein moderner Musentempel inmitten der Altstadt von Porto Vecchio, wo die Parkplätze rar sind und sich nur ganz hartnäckigen Cruisern erschließen.

Bequem gebettet aber irgendwie eingeengt in den natürlich! roten Plüschsesseln weiß ich manchmal gar nicht wohin mit mir. Es packt mich. Ich könnte platzen, möchte aus meiner Haut springen, meine Freude rauslassen. Eichersche Kybernetik muss ja irgendwohin, ein Ventil haben! Was für eine Kraft!

Den Herrn neben mir glaube ich als Schlepptau-Mann zu erkennen, doch er entpuppt sich dann doch als veritabel begeisterungsfähig. Hemmige kommt ganz witzig und lausbübisch frech daher, als getwisteter Charleston leicht unterkühlt und doch als heiße Nummer mit Tobys Geräuschkulisse, der schallgedämpften Trompete und dem Da du dai da - und Purzelbaumpiano. Das Publikum ist sofort dabei und lässt sich mitreißen. Dann hat der Zeremonienmeister einen Bruch vorgesehen. Stephan holt uns galant runter aus dem Spaßbetrieb, parliert und scherzt und hat prompt die gewünschte Ruhe und Aufmerksamkeit. Es liegt etwas Besonderes in der Luft.

Er klampft sich in I tell this night, vorsichtige, fast suchende Pianoklänge dazu, steigen wie Klangwölkchen auf in die vibrierende Luft „every moon is horrible and every sun is bitter“ geht mir schon seit Tagen nicht aus dem Kopf, ich werde es nicht los. Zerbrechlich, bitter, sehnsüchtig…. manche Nacht hinterlässt Spuren wie diese… Stephan wirkt ganz in sich versunken und doch wie ein offenes Buch geschrieben mit Geheimtinte. Seine manchmal zurückhaltende Bühnenpräsenz und dann dosierte Explosion ist einfach atemberaubend.

Dann entlässt ein kurzer Fußtipp auf das Brett vor ihm ein paar gerade eben noch gesampelte Sounds in Combien de temps. Oben am Licht malt Tony Weber wunderschöne Lichtkegel auf die Bühne und in die Luft. Toby tobt, Martin mundit – eine Sensation! Unvorstellbar. Unanständig! Sie geh’n zu zweit auf meine Ohren los, beide, Martin und Stephan mit der Mundi pushen das Ding in eine fette Rocknummer, es wird richtig laut, wo es laut sein muss, das geht nur so, das ist Affrocke à là Escheeer. Der Blick wandert rüber zu Reyn, ein Kopfnicken, und ab geht die Post. Es hält mich kaum in meinem Sitz!

Es wird bluesig mit einem neuen Stück, das das korsische Publikum schon mal vorab goutieren darf. Eicher, woher hast du den Blues? Die Trompete unterstreicht dieses halbschattige Feeling bevor es heftig nach vorne raus geht und plötzlich ganz blau mit Tobys Besen rausschleicht. I cry at commercials hat so ne gebrochene kaputte Stimmung, die sich plötzlich wandelt und heftig wehrt gegen den Zusammenbruch bevor es ihn doch ereilt.

Das Publikum trotzt der gediegenen Theatersaalatmosphäre und ist völlig aus dem Häuschen, ertobt sich mit ausdauernder Hartnäckigkeit tatsächlich noch eine Zugabe. Die erste Verbeugungszeremonie läutet nur ein Päuschen ein, die Zweite ist schon ernst gemeint und wenn es eine Dritte gibt, ist es schon außergewöhnlich! So wie heute Abend. Die Jungs haben sich vielleicht selbst ein wenig rauschig gespielt. Stephan kommt zunächst allein auf die Bühne, richtet sich Mikro und Mac aus und ein und zelebriert ein beklemmendes Two People in a Room, wohinein sich ungewollt eine Snare schmuggelt. Ups, ein aufmerksamer Techniker stellt dann das Scheppern ab. Ein fast unmerkliches Kopfnicken ruft die Band hinzu und dann ist SE völlig losgelöst Major Tom Stephan, kniet sich richtig hinein in dieses fulminante Finale… ein letztes Auflodern, ein letztes großes Feuer … Dann plötzlich auf ein unmerkliches Zeichen hin wird es pianu pianu, die vertrauten Töne von Weiss nid was es isch fließen dahin im Anschlag so ganz und gar vorsichtig, als müssten sie erst gefunden werden und auf einmal kommen auch genau diese Worte hinzu. Mein Dankeschön fliegt auf die Bühne. Große Verabschiedung. Küsschen werfen, Applaus noch und nöcher. Eicherland.

Auch in Bastia im wunderschönen neuen Théâtre ist das Publikum von Beginn an sehr nah und munter dabei. Was vor Tagen hier begann, fängt langsam aufzuhören an. Grässliche Vorstellung aber unumstößliche Wahrheit – wieder mal.

Ein hübsches Chanson, man hört förmlich das Augenzwinkern, ist La Goualante de pauvre Jean. Sie lassen bunte Luftballons fliegen. Das ist ein Fest für Toby, der kann sich richtig austoben an seinen beiden Arbeitsplätzen, Einfach köstlich, diese Nummer, macht richtig viel Spaß und ist ein richtiger Fetzer! Huereguet!!!

Rivière mit diesem hauchzarten Intro ist geradezu eine Verpflichtung und für die Ewigkeit und an Intensität kaum auszuhalten. Diese fast gehauchte Stimme jagt mir Schauer über den Rücken. Ein phantastisches Soundgebilde. Stephan multipliziert sich in seinem Mac, das läuft parallel zueinander und miteinander, er ist treibende Kraft auf einen gigantischen Höhepunkt zu. Von dort gibt es keinen geordneten Rückzug, es ist einfach zu Ende. Cut. Schluss. Aus. Vorbei. Es ist alles gesagt.

Ich erkläre Helpless zu einem weiteren Masterpeace und beantrage Denkmalschutz! Weil in einer völlig anderen Stimmung aufgebaut als Neil Youngs Urwerk und dennoch…. Da geht sogar der Mac für einen kleinen Moment in die Knie…. Dieser kurz getaktete Ton, ein eichersches Echolot wie von einer gespannten Sehne losgeschickt, zieht sich durch die ganze Nummer, lässt einen nicht mehr los, zieht mich immer tiefer in diesen Strudel, irgendwo darin sucht sich Stephans Stimme einen Weg aus der Hilflosigkeit und ich weiß nicht ob er schließlich gewinnt oder Helpless wie ich zurückbleibt. Es endet mit einem Fragezeichen in der Luft.

Dann verabschiedet sich eine Saite und während Stephan sich noch präpariert „Reyn, do something“ liefert dieser die passenden Palim-palims. On nous a donné trumpft richtig auf, ein echtes Brett, ich weiß gar nicht wohin mit mir, die Sessel sind eine einzige Fessel, wer kann so was ertragen? soll ich explodieren, soll ich mich auflösen oder hier bleiben? Wo geht es hin? Reyn hat sich für den Bass entschieden und das Denken aufgegeben. “You shouldn’t think to much, just feel it!!“ ist die Devise. Tempo, Druck, sie legen nach – dumdededumdedum treibt der Bass nach vorn. Geht übergangslos in Ce peu d’amour, da kommt von irgendwoher ein schmutziges Yeah!!, das ganze Ding spielt mich links und rechts und hoch und runter, macht süchtig nach Hier! Jetzt! Immer! Lebenselexier! - einsaugen für die Zeit danach. Dann endlich die erste Chance zum Luftholen, ein Verabschiedungsversuch.

Aus dem Kracher der Taxitour Dejeuner en Paix wurde eine extrem entschleunigte Version, verlangsamt den Puls, verlängert die Freude und Daseinsberechtigung – herzzerreißend quälend schöööööön mit großer lebhafter Publikumsbeteiligung am Frühstückstisch.

Gruß an die Animals, die ein paar Tage vorher auf dieser Bühne gestanden haben. Wenn ein Musikgötterbote Musikheiligtümer anfasst, entstehen Unikate von erlesener Qualität wie diese unglaublich packende Version von House of the rising sun! Stephan legt seine Kellerstimme auf und schrabbelt die Gitarre mit unbändiger Leidenschaft, von Martins Gebläse angetrieben und wie verhext, Toby hebt gleich ab und selbst Reyn hat jegliche Zurückhaltung aufgegeben. Sensationell!

Noch ein Neuling im Set, hinter Pas deplu steht Philipp Djian als Wortgeber und mehr. Mit diesem seltsam vertrauten und doch so neuen Ohrwurm werden wir wieder mal zu Zugabenbettlern - Bastia tobt sich zu Tu ne me dois rien für den Heimweg, die Band steigt ein, kurze Peilung „rich or verse“ und die Vier vollenden diesen Abend mit einem letzten Rockballadenedelstein. Martin erntet seinen krachenden Szenenapplaus und Stephans Genusssekunden für diese Mundi sind auch meine, unaussprechlich, dafür gibt es keine Worte…

Halb zog es ihn, halb sank er hin fällt Stephan förmlich in sich zusammen auf die Bühnenbretter, um die Huldigungen des Publikums entgegenzunehmen. Die Verabschiedungszeremonie immer wieder links und rechts zum Bühnenrand, viele viele Herzküsschen fliegen, Winken, Klatschen und Pfeifen nimmt gar kein Ende…. Wer geht schon freiwillig aus dem Paradies?

Nach dem Konzert im KKL war ich einfach sprachlos, fassungslos, ungläubig erstaunt über so viel Richtigkeit. Dort schien alles sehr in sich geschlossen, eigens für diesen Konzertolymp arrangiert. Das und viel mehr habe ich hier wieder gefunden. Beim nächsten Mal ist das alles vielleicht unrichtig. Diese Ruhelosigkeit ist ansteckend und erhöht auch die Spannung auf den nächsten Silberling. Dieser Fiebermensch wird wieder jene überraschen, die glauben, eine Richtung ausgemacht zu haben. Aber bei Stephan Eicher gibt’s nur Toutes Directions. Unkalkulierbar aber verlässlich kommt garantiert etwas unglaublich Schönes, Neues, Gutes heraus… wie von einer anderen Galaxie - oder aus dem Garten Eden.

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de

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