Der Lockruf des Streifling........

Fortsetzung:

"Abschied vom Jugendbonus!" Jawoll! Da steh'n die Fünf frisch gestyled und gestählt vor mir auf der Bühne und geben alles. Ole steht nach drei Takten schon im Wasser und ich tue es ihm fast gleich. Er zelebriert das erste ausgedehnte Solo zu "I feel alive", das mag ich ihm gerne glauben, geht mir ähnlich. Ich möchte mir das Bild von der Bühne am liebsten auf die Netzhaut brennen, die Jungs baggern sich an und treiben sich gegenseitig immer wieder zu neuen Höhenflügen. Tommy und Ole sehen sich dabei tief in die Augen, der bestellte Kranz Kölsch wird dankend genommen (schon wieder ist Danny der Looser) und zum ersten Mal gehen die Hände hoch! Das Publikum kommt langsam ...

„Julie“ steht natürlich auf der Setlist, Sheryl Hackett hat es seinerzeit geschrieben. Jens erzählt von ihr, einige Anwesende erinnern sich bestimmt an diese absolute Powerfrau, die vor noch nicht allzu langer Zeit hier den Dorfsaal auf links gedreht hat. Ich bin sicher, sie hat eine Ehrenloge dort wo sie jetzt ist, sie bekommt IHR Lied mit ganz besonders lieben Grüßen mit Jens' traumhaften Sax-Solo in den Himmel geschickt.

„Hurricane“!!!! Endlich! DAS erste Highlight des Abends. Und endlich hat's auch den Saal erwischt, uffg'wacht! Die Bühne wird zum Hexenkessel, Starkstromrock, das fette satte Hurricane-Riff, die Ohren klingeln, der Magen vibriert. Jochen lässt den Bass wummern und Tommy drischt gelegentlich seine Hagebutte, dass die Ohren sausen. Danny hat's ein bisschen eng heute hinter seinen Keys, aber was auch immer sie spielen wollen, er ist allzeit parat auf seinen drei Ebenen.

Geht mir das allein so? Bin ich ein Schnellzünder und die anderen Spätzünder? Jedenfalls wundere ich mich diesmal über das viel gelobte Brenig-Publikum, es schwächelt ein wenig. Meine Güte, sie brauchen acht Songs zum richtig Warmwerden, erst mit Hurricane kommt so eine Ahnung auf, wird es ein bisschen mehr, aber da geht noch ne ganze Menge! Na, kein Wunder bei der Stromgitarrenbreitbandfrequenz. Auf gleichem Level hinterher gesetzt eine Nummer von Pankow, die Stones des Ostens, erzählt uns Jens, und jetzt wissen wir auch warum. "Gib mir ein Zeichen" ist auch heute noch 'ne mächtig satte Rocknummer. Richtig Druck, das macht ordentlich Wind, der Staub der Jahre wird einfach weggeblasen.

Wer sich an Heiligtümern vergreift, darf damit nicht rumsauen. Ich bin sonst nicht so ein Fan von Covernummern, aber was die Jungs hier abliefern, entspricht dem Reinheitsgebot, sind Diamanten in allerhöchster Qualität. Die famose Streifling-Band spielt bei ihrem Jahrestreffen wie aus einem Guss.

Noch 'ne schöne Covernummer haben die Jungs im Set, von Selig "Wenn ich wollte". Hier gibt’s kein "Wenn", nur Istzustand, und der ist eindeutig purer unanständiger Rock. Veritabel laut, wie sich das gehört. "Flying" ist genau so 'ne Nummer, die macht genau das: Abflug! Ole fliegt, und wie!!! Ich glaub's nicht, was ich da höre und sehe! Spinne ich oder er? Jimi Hendrix, der legendäre Gitarrenhero der Anfang Siebziger, vor dem sogar Mr. Slowhand himself jede Menge Respekt hatte, ist back on Stage. Ich höre die bekannten Riffs eines Hendrix-Klassikers und sehe Ole die Saiten mit den Zähnen bearbeiten, den Steg mit der Zunge hochfahren, das ist ja der Hammer! Was ein geiles Bild. Hiiiiillllffffeeee!!!!!!! WAFFENSCHEINPFLICHTIG!!! was da gerade abgeht. Endlich ist das Publikum im Sack, heftiger Szenenapplaus und die Bandkollegen gucken ganz ehrfürchtig.

Jetzt Achtung! Vorsicht! Hochspannung! Jens kündigt Franco Parisi an, dieses Energiebündel, wie ein Wirbelwind fegt er auf die Bühne. Viel Platz ist da nicht mehr, aber Bierdeckelgröße reicht, keine Sekunde stillstehen. Legt los mit "Weather with you" – von Null auf Hundert in Nullkommanix, wie ein Flummi hüpfen Franco, Ole und sogar Jochen am Bass wie unter Strom. Dieser Typ ist einfach irre, diese funky-soulige Nummer "Stackles" von Jesse Brown ist ihm auf den Leib geschrieben. Wo nimmt Franco bloß diese unbändige Power her? Ungezügelte Leidenschaft. Der Typ macht einfach an. Auch Jens. Hüftschwingend, tief im Knie, einen Blick drauf wie kurz vom Explodieren. Tieferotisch und hochprickelnd diese Stimme und dazu das tabascoscharfe Sax. Sie pushen sich gegenseitig hoch und keiner gibt nur einen Millimeter ab! Bloß nicht nachlassen jetzt, Robbie Williams' "Kids", Ole spitzes schräges Gitarrenstakkato, Chacka-chacka-chack. Franco hüpft immer noch wie ein HB-Männchen und liefert endgültig den Überflieger, jetzt kriegen wir es richtig fett! "Let me entertain you" DAS ist fast nicht zu beschreiben, jetzt lässt er sie endgültig raus, die Rampensau! Unglaublich! Still steh'n geht nun gar nicht mehr. Hey, das Brenig-Auditorium ist fassungslos! Als die Jungs für ein erstes Mal von der Bühne abtreten, vergisst man völlig das übliche Zuuuuuuuggggaaaabe-Ritual. Diese Steilvorlage hätte perfekt gepasst, macht aber nix, da geht noch 'ne ganze Menge mehr. Die Jungs haben ihr Pulver noch längst nicht verschossen und sind sowieso am Überblubbern! Ich sehe glaube ich Sternchen in ihren glänzenden Augen! Runterbremsen ist noch lange nicht, der Höhepunkt ist noch nicht einmal erreicht. Da steht Franco Parisi, mit fordernder Handbewegung, er mischt uns endgültig auf und lässt die wohl absolut geilste U2-Nummer auf uns nieder "One". 1 zu 1, Ole alias The Edge und Franco alias Bono. 100 Prozent! Bitte, bitte endlos, diese Hymne! Da ist alles dabei und alles erlaubt. Wie eine Zündschnur am Pulverfass, ein unglaubliches Temperament, flüssiges Dynamit, Nitro im Rüttelbad, atomare Kettenreaktion bis zum Supergau! Is it getting better ... do you feel the same? singt er. JJJJJJJJJAAAAAAAAAAAAA! Schmerzvoll lebendig, Finger verbrannt, ich will mehr mehr mehr davon haben ... Bodenhaftung verloren, Hirn fliegt, Seele lebt auf, Herz zerspringt. Singen ist eine Gefühlsäußerung! Das hier ist pures unverfälschtes Gefühl, rausgeschleudert, ohne jegliche Rücksicht auf irgendwas, einfach nur Sein!

Kommt, Jungs, da geht noch was! Puuuuhhhh, ich komme langsam wieder runter von der Palme. Höre eine dieser rotzfrechen Saxeinlagen, die Jens ein ums andere Mal abliefert. Das Spielchen mit "Don't go away"/Hungry heart/It's raining again“, ist perfekt geeignet natürlich für 'ne ausgiebige Session bis der Arzt kommt und als Abschiedsnummernversuch. Die Fünf strahlen um die Wette, allen voran Jens. Daumenhoch für uns, ein weiteres Kultevent im Jahrbuch des Alten Dorfsaals. Es hat mal wieder funktioniert. Seine Abschiedsworte, "wir seh'n uns wieder", nehme ich als ein Versprechen. Nicht nur bis zur vermeintlich letzten Zugabe: „Junimond“. Franco kommt noch einmal hinzu und Jens schickt mich ein letztes Mal in die Wolken mit seinem Sax. "Jetzt tut's nicht mehr weh...." Ach, wenn Ihr wüßtet.

Die Saalgemeinde fühlt wohl ebenso. Wie zur Schmerzbekämpfung erbetteln sie ein letztes Highlight, den "Wetterprophet", Jens ganz allein mit seiner Gitarre, zum Abdampfen, zum Sterben schön. Jetzt und hier.

Und dann kehrt langsam wieder Ruhe ein im Heimatbau. Wenn der Vollmond zweimal am Morgenhimmel verschwunden ist, kehrt der kleine Streifling wieder glücklich und zufrieden zu seinem Stammrudel zurück. Bis zum nächsten Mal. Weidmannsdank!

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de

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