Schöne  Bescherung.....

Fortsetzung:

Also, ich finde den Namen „Cologne-All-Stars“ schon ein bisschen dick aufgetragen! Echt jetzt – mehr als fünf Musiker gehen in Köln nicht als Stars durch? Das will ich nicht glauben! Ups! Irrtum, großes Missverständnis meinerseits. Die Fünf SIND nicht alle – aber KÖNNEN alle! Vor allem sich selbst! Und wie!

Lieblingsstücke sind es. Eines jeden seines, unser aller und alle freu’n sich! So einfach ist Schenken! „Alte-Säcke-Musik“ nennt es Jörg. Ich nenne sie Grundnahrungsmittel in hormonell unsteten Zeiten. Lasst uns ein bisschen nostalgisch sein. Das mitgereifte Publikum schwelgt und singt mit, ganz wie Jens es seinen Stars versprochen hat. Tief aus der Mottenkiste, kräftig entstaubt ein rockiges „Come Together“, passt gut als Motto des Abends. Auch Ulla Meinecke ist da! Riesig, die gecoverte Springsteen-Nummer „Ein Schritt vor und zwei zurück“. DAS dürfte dem Altmeister gefallen. Jens schnappt sich zum ersten Mal die „Saxinette“ und schickt mich fliegen. Retro-Shows, wie sie im Format-TV daher kommen, sind flach,  oft lieblos und irgendwie dumm. „Retro“ im Alten Dorfsaal ist voller Leidenschaft, Herzblut und beängstigend intensiv manchmal. Police bzw. Sting höchstselbst scheint auf der Bühne zu stehen, das gibt’s doch nicht, „Message in a Bottle“, „Every breath you take“ und noch jede Menge mehr dieser Masterpieces. Jörg alias…  oder Josef alias…. Danny Dziuk zum Beispiel mit „Lieber fauler Tag“ wird mir demnächst zur Sonntagshymne. Einfache kleine Songs mit einem kleinen „weißt du noch“ im Hinterkopf. So eines ist auch Jens’ erstes Gitarrenstück „Heart of Gold“ jetzt mit dem Mundi-Galgen um den Hals und großem Dorfsaalchor. Vor allem dann dieses Stück aus „guter alter Zeit“, ein Juwel, eine Sternstunde, es geht soooo gut: „Du kannst zaubere“. Ausgerechnet. Ja! Lizenz erteilt! 

Jörg und Josef scheinen irgendwie multivokale Persönlichkeiten zu sein. Was die beiden drauf haben, ist einfach mördergut! Die Traveling Wilburies sind da, Tom Petty, Steve Wonder, Rio Reiser und und und….  Purple Schulz ist – auch - er selbst und überlässt schon mal  Effendi seinen Stammplatz an den Tasten.  Jens an allen Gebläsen und mit gepflegten Saitenhieben hat überall seinen Platz und Tommy hinter seiner Hagebutte hält alle zusammen. Der hat ohnehin alles drauf.

Wie? Ein Stück aus der aktuellen Hitparade? Drückt das Gesamtdurchschnittsalter der Songs auf der Setliste. „Wake me up when September ends“ von Green Day absolut echt, nur noch viel viel schöner, weil dicht dabei und mittendrin. Das beginnt so harmlos und rockt hinten raus, dass es mir Angst und Bange um Jens’ Halswirbel wird. Schmachtfetzen mit Headbangerpflicht. Der absolute Knaller an diesem Abend ist für mich „Englishman in New York“. 1. Stimme, 2. textsicheres Publikum und 3. Jens jazzzzzzzt! Das hab ich ja noch nie gehört! Ab jetzt für immer diebstahlsicher in meinem Kopfkino untergebracht. Er verliert sich in höchster musikalischer Erregung und heizt auf der „Sophranflöte“ die Saaltemperatur bis kurz vor Explosion! Das ist ja schier zum verrückt werden gut! Jens’ Lieblingsstück nimmt dann die ganze geballte Energie auf entlädt sich in Überlänge in einem gewaltigen „Hurricane“. Und ich fühle mich grad ein bisschen durch den Wind und wie von einem heftigen Regenguss durchweicht…

Dann Adrenalinspiegel senken, Puls und Herzschlag runterfahren. Purple Schulz und Josef Piek performen „Solo“. Ihnen gehört der Kleinkunstpreis des Brenig- Auditoriums!! Zum Weglachen, zum Eckigkugeln diese Nummer „Programmänderung“ (ein Ständchen zum Maus-Geburtstag), mit Tanzeinlage (in Socken!), Kajun, Clownerei und so was wie Slapstick, einfach hinreißend köstlich! Dieser Typ, Sitzriese hinter den Tasten, ist einfach umwerfend gut, ist ein entfesseltes Energiebündel. Und das ist der, der damals diese Leidensnummer „Sehnsucht“ gebracht hat? Auch 1991 „mit Brings im Volksgarten gespielt, damals etwas aufwändig, heute mit früher-bei-Bap-und-jetzt-noch-bei-den-Höhnern Jens und mit Jörg und Tommy“ in something like unplugged. Schon beim Intro mit der Mundi schlotterts mich heftig. Das zerreißt auch jetzt noch. Ist da jemand im Saal, der nicht irgendwann einmal das Stück durchlitten, durchlebt, einen kleinen Tod gestorben ist vor Liebeskummer? Gefühlserinnerungen erwachen und sind zum Glück auch Nostalgie. Aber jetzt hier packt es mich noch mal, Purple Schulz ist längst von der Bühne gegangen, überlässt dieses Hochamt den Kollegen, die es schmerzvoll auskleiden.  Emotionaler Ausnahmezustand bis zum allerletzten Ton.

Noch mehr beautiful pain, wir dürfen das Liebesleid noch ein wenig ausgekosten. „Ain’t no sunshine“ – wer auch immer damit Herzschmerz erlitten haben mag, muss jetzt da durch. Dreckig, lasterhaft, anzüglich, Jens rotzt ein Sax raus, taucht völlig ab in den Blues … die Töne aus dem Luftsäulenaustrittsloch verschlagen mir glatt den Atem. Unglaublich! Irgendwie cool relaxed aber auch völlig überhitzt und abgehoben. Irre!

Die Setliste hat noch ’ne ganze Menge Goodies parat und mit Brigittes Bildern und etwas Fantasie kann man sich vorstellen, wie der Alte Dorfsaal gerockt hat. Und als die Jungs nach knapp drei Stunden!!! schonmal vorsichtig anklingen lassen, dass dieser Abend bald zu Ende sein könnte, was an dieser Stelle natürlich nur pro forma eingestreut ist, wird es sogar (be)sinnlich. So sehr, dass Purple Schulz ein wenig irritiert ist, denn kein Chor, kein Mitsingen, einfach nur Hören, Fühlen und sich treiben lassen in „Immer nur leben“ – Noch mal Sabbermusik by „Saxinette“: Herz auf der Zunge, Seele brennt auf der Haut, Feuer in den Augen! So sieht das bei Jens aus und hört sich das auch an! Das sei eigentlich die letzte Nummer im Soloprogramm, sagt er. Aber das geht ja jetzt gar nicht. Lasst uns nicht mit so ner Nummer nach Hause! Vor der nächtlichen Depri rettet uns „Let it be“  und  noch ne Zugabe. „Kleine Seen“ – vor lauter Ergriffenheit ist’s ganz still im Saal. Fühlt sich an wie ertappte Seelen. Aber dann! Schon mal als Kind pfeifend in den dunklen Keller gegangen? So ähnlich ist das. Im folgenden Gesangsunterricht nehmen wir „Tränen lügen nicht“ durch und lernen fürs Leben: „Was ist so komisch, wenn Männer ihre Gefühle zeigen“ ist die Frage? „Das kann man nicht in einem Wort sagen“ die Antwort. Aber mit Musik geht das! Aus dieser irgendwie eigenartigen Feierlaune in Bierzeltsentimentalität befreit uns „Äppel, Nöss un Marzipan“ ins Kinderweihnachtswunderland.

Danke, Maren und dem ganzen Dorfsaal-Team für ein wirklich tolles Musikjahr 2005! Dank Eures unermüdlichen Fleißes ist der Wohlfühl- und Funfaktor immer extrem hoch und deshalb kommen wir sooooo gern hierher! Danke, Jens für Deine Musik und Deine überschäumende ansteckende Spiel- und Lebenslust mit Freunden und Gästen!  Ihr alle  macht das mit soviel Herzblut, da bin ich gar nicht unegoistisch, wenn ich für 2006 viele tolle außergewöhnliche Konzerte wünsche! Volle Hütte sowieso.

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de

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