Motto, Motti und Motten...
Streifling & Freunde im Alten Dorfsaal zu Brenig - 13. & 14. 04. 2007

von Christel Amberg-Wiegand:

Wenn die Streifling-Band(e) zum gemeinsamen Schwitzgang in die Dorfsaalsauna einlädt, kann kommen, was will, da gibt’s kein vertun, da simmer dabei! Im Doppelpack gebucht - Unmäßigkeit und Suchtverhalten gehört zum Krankheitsbild, da sind Heilungschancen gleich Null. Risiken und Nebenwirkungen übernehmen und zahlen weder Gesundheits- noch Krankenkassen.

Endlich soweit begrüßt uns Jens, „komm, Tommy!!“, der Hausdrummer zählt ein, „Ole!!!“, sie sind bereit für die Frühjahrskur und Jens macht sich schon mal die Nackenmuskeln warm. Ans Meer – die Jungs spielen, als ob sie sich und uns den Winterschlaf aus den Knochen knechten müssen. Zwei schöne gitarrenbetonte Stücke aus Jens’ Feder gleich zu Beginn, wer weiß, wo und wie sie wieder auftauchen. Jens, Jörg und Danny sind die drei Rockröhren des Abends, Ole ist für den Background und als Chefgitarrist maßgeblich für klirrend krachende Tunes zuständig und Tommy macht das Powerworkout an seiner Hagebutte. Nicht nur er und sein Rhythmuskollege Jörg haben dabei ungeheuer viel Spaß.

Die Neue Deutsche Welle ist im Großen und Ganzen an mir vorbeigeschwappt. Aber so ein paar Brecherwellen sind doch über mir zusammengebrochen und haben mein Ohr nachhaltig geflutet. Auf zum Wellenreiten, auch auf „DDR-Wellen“! Da gab es nämlich auch eine verdammt kreative und ehrliche Rockmusik. Jens sorgt immer wieder dafür, dass diese Songs nicht absaufen. Auch heute noch Markenware und absolut live- und bühnentauglich! Seine persönlichen Weißt-du-noch’s! Texte wie Propaganda vom Paradies von Pankow von unerfüllten Träumen und bitterer Bahnhofszoo-Romantik waren sicher gewagt. Teenagerdramen spielten sich hüben wie drüben ab. Dann schlägt Gaby auf! Sie ist zwar nicht hübsch, aber als Song unwiderstehlich, kommt langsam aber gewaltig… bis sie fliegt, aber so was von fliegt…!!!!

Das Thema Erderwärmung bekommt im Dorfsaal immer eine völlig neue Dimension. Oles Betriebstemperatur ist bereits beim zweiten Titel im dunkelroten Bereich. Der Schweiß fließt in Strömen. Am Samstag spielt er überdies unter erschwerten Bedingungen im Feuchtbiotop Dorfsaal. Er ist gehandicapt und injiziert sich wahrscheinlich eine Extraportion Endorphine ins Blut. S(D)eine blauen Augen machen mich so sentimental…. ist heute definitiv sein Song, griffig, knackig kommen die Riffs der NDW-Hymne, während Danny mit ganzer Unterarmlänge die Tasten traktiert. Gnadenlos. Selig - Es gibt Momente, der ganze Abend ist eine Ansammlung magischer Momente, Danny und Jens, Duett oder Duell? Mundi, Akustikgitarre und Tasten…. Qigong für Augen und Ohren.

Merde, da fräßt sich ein Basslauf durch die Magenwände und braucht einen Moment, bis er im Kopf ankommt. Wer war das doch gleich, Spliff??, ach ja, klar, dieser Endzeittext… Déjà-vu und schon bin ich Jahre zurückkatapultiert, wann war das… da waren die Kerle vielleicht gerade wilde Teens? Keine Zeit für Denksport. Die Fünf lassen die Wellen ganz schön hochschlagen, tut unglaublich gut, darunter durchzutauchen. Manchmal wäre ne Sauerstoffflasche ganz angenehm…. Noch ein Griff in die Mottenkiste. Dannys Carbonara ist höllisch scharf und mindestens vier Sterne wert. Einer extra für Sax und die fette Basswumme, schonungslos gezupft und geklopft, während das Publikum stramm dagegen hält! Jörg ist ein echter Kampf-Basser, er fegt über die dicken Saiten als spiele er ne Flamenco-Gitarre. Sie platzen förmlich vor Spieltrieb. Danny als einer der drei Hessenrocker auf der Bühne schmeißt nen ordentlichen Riemen auf die ewigen Fetenkracher Ei, guude, wie? und Volle Lotte. Da liegt keine Spur von Patina drauf, jetzt nicht mehr, Jens zockt ab wie weiland Henni Nachtsheim. Gas gebbe! Druff und dewitt – kein Entkommen – Hessen rockt! Nichts für Plüschsesselhörer und Q-Tips braucht heute kein Mensch mehr. Die Jungs sorgen schon für den richtigen Druck beim Durchblasen der Gehörgänge. Top Leistung, Anerkennung für den Tonmeister, auch in den hohen Dezibelbereichen sind alle Instrumente gut und sauber zu hören. Laut wie es halt ab und zu laut sein muss! Ohne Brimborium, ohne Anlauf direkt aufs Ohr.

Kleine Verschnaufpause nur, aber mit Tiefgang und Herzblut, wenn Jens Sherryl huldigt und einen langen Blick gen Himmel schickt, oder hingebungsvoll Mundi oder Saxinette flötet, oder Jörg der Wetterprophet ist. Tommy wischt und fingert die Drums ganz federleicht, drischt aber dann seine Hagebutte über Oles typisches chakachakchak, wenn dieser an Jens’ Schulter den Abrocker gibt. Das lautstarke „Dumpfbacke, Dünnbrennbohrer, Weichei, Abführ’n!!!!“ hört man wahrscheinlich noch drei Straßen weiter. Hölle, Hölle, Hölle!

Peter und Stephan Brings waren als Überraschungsgäste angekündigt. Sie waren zwar ne Überraschung, aber keine Gäste. „Die Jungs haben uns hängen lassen“! Mehr als nur ärgerlich, unprofessionell, denn deretwegen ist der Dorfsaal auf einigen Tickets sitzen geblieben und das sind Brings nicht wert! Dafür sind am Freitag mit Guildo Horn und Schrader zwei weitere hart gesottene Partyexperten auf der Bühne. Und DIE können nämlich noch richtig rocken! Zunächst ganz ungewohnt melodisch, sanft und fast zum Weinen schön, das hab ich Guildo so gar nicht zugetraut, wie er eines der Masterpieces von Udo L. aus H., Cello, sehr sehr überzeugend rüberbringt. Mit Jens’ Saxinette stellen sich sämtliche Nackenhaare und die Gänsehaut will wirklich überall hin. Seine Absolution für Jraduss hat er längst in der Tasche, heute geradezu psychoanalytisch und in Vergangenheitsbewältigung tätig (sagt Guildo!) und topaktuell „Bleib doch wo du bist“ muss Brings förmlich 100fach in den Ohren klingeln. Jens macht am Sax ne richtige Sause draus, der Pegel für Alarmzustand steigt rasend schnell auf der nach oben offenen Brenig-rockt-Skala. Fünf Mann in der Frontrow und zwei im Backoffice zünden den Turbo und schroten los. Diese Version gerät fast zur Parodie, getreu dem Motto „spielen deutsche Lieblingssongs“ kann Guildo zwar Kölsch lesen…er sei nur des Kölsch Trinkens mächtig, sagt er und switscht um auf, na ja… deutsch… „Geradeaus“. Wunder gibt es immer wieder gedeiht dann zur ausgelassenen Grölnummer. Man muss es mögen. Kurz und heftig. Mit ohne viel Anspruch, aber mit nicht wenig viel Spaß.

Samstag verlassen sich die Jungs dann auf musikalische Selbstbefriedigung, hauen ratz-fatz noch zwei, drei Songs auf die Pfanne und spielen sich und mich nach Herzenslust strubbelig. Rosen im Asphalt, DER Maahn-Song, schon wieder ist’s Jörgs Stimme und ein alter Film läuft im Kopfkino. Plötzlich schnappt sich Jens das Sax und geht. Gespielte Fragezeichen in allen Gesichtern, meins ist echt. Jörg Gröni erklingt im Alkohol und da taucht Jens hinten auf der Fensterbank auf und bahnt sich dann wie Moses einen Weg durch den kochenden Saal. Endlich! Jetzt ist’s soweit für Don’t go away, folgerichtig in Deutsch Geh noch nicht fort, nein, versprochen, wir bleiben noch, auch wenn ihr uns hier schon einen Abschied weismachen wollt! Multiple-Jörg ist schon wieder Was soll das-Gröni und wird hin- und hergeschubst mit Jens’ Don’t go away und jetzt sind sie völlig von der Rolle. Wie Bandsalat von der Tonbandspule Schnipsel von 1000 Mal berührt, 99 Luftballons, 17 Jahr…, Fiesta Mexikana, man kennt sich aus im Genre, dazwischen immer wieder Live is Live, dann ein Reggae mit No woman no cry und irgendwann wie zur Erlösung Oh, won’t you stay just a litte bit longer immer noch per Reggae, verflixt, wie machen sie das bloß? Der pure Nonsens, es ufert völlig aus, wir sind alle im Musikerhimmel Brenig gelandet.

Zweites Läuten. Nur Probehalber. Jens guckt wie ein übermütiger Lausbub und seine Jungs warten schon auf den nächsten Streich! Der ist eine völlig abgefahrene Geschichte noch mal aus Jens’ Jugendsündenzeit. Wie ein Krokodil auf der Regenwiese, Cesars’ Blues, oder so ähnlich…. Dieser schräge Text und diese rotzige Bluesmundi scheinen geradewegs von den hitzigen Baumwollfeldern der LPGs zu kommen, Jens holt alles aus sich raus, wie die Hölle ist das, Tommy muss noch mal ran und tobt nach allen Regeln der Drummerkunst in eine grandiose Jamsession, ungezügelt, ausgelassen, jugendschutzgefährdend schmutzig. Lieber Himmel, was machen die da bloß mit uns?

Letztes Läuten? Der Saal steht Kopf. Noch mal Jörg, aber „alle deutschen Wörter, die ich kenne, hab ich gesungen, jetzt geht nur noch englisch“. Hormonturbulenzen! Ain’t no sunshine, seine Schmurgelstimme geht runter wie Ayurvedaöl, tief drinnen verbreitet sie wohlige Hitzewellen. Sorry, wer braucht schon den Gwildis, hier auf der heißesten Bühne des Vorgebirges ist der Blues echt und nicht so ne Hochglanznummer. Die Fünf sehen inzwischen aus, als seien sie zu lang in der Sauna gewesen. Ich fühle mich ähnlich… Der kalte Guss ist immerhin originell: unter hymnischem Absingen „echte Fründe stonn zusammen“ verlassen sie die Bühne. Stimmt, deshalb lass ich das heute ausnahmsweise mal durchgehen.

Zwei Abende so recht nach meinem Geschmack! Wieder einmal - und mehr denn je ein dickes Danke und auf baldiges Wiedersehen mit der tollen Dorfsaalcrew, ihr alle habt einen Stein in der ewigen Ruhmeshalle des Rock ’n Roll verdient.

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de

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