Wie es dazu kam.....

Quelle: Arsch huh - Zäng ussenander - Kölner gegen Rassismus und Neonazis - erschienen 1992 im Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, alle Rechte beim Verlag. Wir danken dem Verlag Kiepenheuer & Witsch für die freundliche Genehmigung.


Seite - 5 -   Fortsetzung "Das Konzert....."

     Jean Jülich, früher Edelweißpirat, heute Wirt, Burggraf und Schloßgespenst der Severinstorburg, ergreift nun das Mikrofon und erinnert an die Vergangenheit und seinen Widerstand als Jugendlicher. Es folgen Brings, die zunächst einmal Ihren Vater Rolly bei "David" begleiten. Unter dem Jubel der mittlerweile 90.000 geht es dann weiter mit "Nix för lau", "Ali" und natürlich "Kölle", das beim Publikum eine minutenlange Fortsetzung findet. Nach der Kölner Kabarettistin Sammy Orfgen geht es weiter mit den Höhnern, die durch die Mitwirkung von Klaus von Wrochem (Klaus der Geiger) zeigen, wie breit in diesen Tagen die Front gegen Rechtsradikalismus, Ausländerhaß und Intoleranz geworden ist. Im Umfeld der Rockmusiker bis dahin sicherlich nicht heimisch, haben sich die Höhner schon im Vorfeld der Veranstaltung durch ihre intensive Mitarbeit viele Freunde geschaffen. Neben "Echte Fründe" und " 2 Zimmer, Küche, Diele, Bad" stellt die Band neugetextete Versionen von "Wann jeit d'r Himmel widder op" und "Ich bin ene kleine Mann" vor, um dann Platz zu machen für den absoluten Höhepunkt des Abends.

    Am Arm von Elke Heidenreich betritt Willy Millowitsch die Bühne. Minutenlange Ovationen und Sprechchöre lassen den Volksschauspieler und Ehrenbürger der Stadt Köln kaum zu Wort kommen. Stockend liest er einen Zuckmayer Text, und noch bevor er sein "Ich bin ene kölsche Jung" mit einem an dieser Stelle völlig passenden "Kölle Alaaf" beschließt, übernimmt das Publikum die Initiative und läßt den Chlodwigplatz Kopf stehen, weil die kölsche Junge ja bekanntlich keinen "draan looße". Ohne Pause geht es weiter und das Ensemble "Elvis the Legend" kann sich bei seiner Interpretation von "In the Ghetto" über einen vieltausendstimmigen Chor freuen. Da wir nicht erst seit dem Vortag (Großdemonstration in Berlin) wissen, daß jede Kundgebung die Rede eines Präsidenten braucht, betritt jetzt der Präsident der Stunksitzung die Bühne. Jürgen Becker skizziert die absurden Formen der Asyldiskussion in einem irrwitzigen Post-Sketch (D'r Breefkaste eß voll) und macht dann Platz für The Piano Has Been Drinking, die in "Saddamalaaf" Wolfgang Niedeckens Blaumann aus "Arsch huh - Zäng ussenander I" zu Wort kommen lassen. Sie schildern eine Szene aus einer Kölner Kneipe, die an Fastelovend Besuch eines als Saddam Hussein verkleideten ostdeutschen Mitbürgers erhält. Nach "Daach sin Juwele" läßt Gerd Köster mit "En d'r Nachbarschaff" den Chlodwigplatz zum wiederholten Male an diesem Abend schunkeln.

    Es ist dann Jean Pütz, der die Ansage für die Bläck Fööss übernimmt, die zu "Morje, Morje" noch einmal Rolly Brings auf die Bühne bitten. Es geht weiter mit "Homeless" von Ladysmith Black Mombaso und als dann 100.000 Menschen "En unserem Veedel" mitsingen versagt Tommy Engel mehrfach die Stimme. Direkt im Anschluß daran gelingt es Anke Schweitzer und Rolf Lammers mit dem eindringlichen "Nit met uns" den Chlodwigplatz zum stillen Zuhören zu bringen. Nachdem Viktor Böll von der Böll-Stiftung mit leisen Worten an den Zusammenhang des Abends mit dem Lebenswerk von Heinrich Böll erinnert hat, spielen BAP zum ersten Mal seit acht Jahren wieder zusammen. "Jupp", "Denn mir sin widder wer" und natürlich "Kristallnaach" bilden den Abschluß der einzelnen Künstlerauftritte. Wolfgang Niedecken leitet dann über zu "Arsch huh - Zäng ussenander I" gespielt von Nick Nikitakis, dem Komponisten, sowie Charly Terstappen, Axel Büchel, Stephan Brings, gesungen von Gerd Köster, Wolfgang Niedecken, Peter Brings, Hennig Krautmacher, Tommy Engel, Anke Schweitzer, Jürgen Zeltinger, Marion Radtke und allen anderen Beteiligten. Es folgt "Arsch huh - Zäng ussenander II" von und mit Arno Steffen, begleitet von Hans Bäär, Charly Terstappen, Ralf Engelbrecht, Helmut Krumminga, am Ende unterstützt von der gesamten AG ARSCH HUH. Einen ruhigen und wunderschönen Schlußpunkt setzt Triviatas, der erste Schwulenchor Kölns, mit Bertold Brechts "Kinderhymne 1949". Beim Schlußwort von Tommy Engel, der sehr vorsichtig von ein "bißchen Stolz" spricht, sind die Tränen in vielen Augenwinkeln nicht mehr zu übersehen.

    Friedlich zerstreut sich die Menge von 100.000 Teilnehmern, nicht ohne den anliegenden Kneipen noch eine lange Nacht zu bescheren. Musiker, Aufbauhelfer, Roadies, Veranstalter und Anhang verziehen sich in die oberen Stockwerke der Severinstorburg, allerdings ohne groß zu feiern. Zu stark ist das körperlich spürbare Nachlassen der Anspannung der letzten Tage. Leise Töne herrschen vor, und die Atmosphäre ist geprägt von stiller Freude über das Gelingen der Veranstaltung bis hin zu Nachdenklichkeit. Die meisten verzichten auf "Siegesfeiern" und machen sich schon früh auf den Heimweg.

    Die Polizei meldete keinerlei Zwischenfälle, und die klammheimliche Freude über den völligen Zusammenbruch des Verkehrs in der Kölner Innenstadt sollte uns keiner verdenken. Es war ein bedeutender Abend für die Stadt Köln und ihre Bürger, ein Zeichen von Solidarität auf und vor der Bühne, ein Zeichen, das hoffentlich Ort und Datum überdauert.

     

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